Zugang einer E-Mail im Geschäftsverkehr
von Lieb Rechtsanwälte
Ein Beitrag von RAin Nicola Kastner-Hippel
Der BGH hat mit einem aktuellen Urteil vom 6. Oktober 2022 (VII ZR 895/21) entschieden, wann ein Zugang einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr anzunehmen ist.
Im Rahmen der außergerichtlichen Korrespondenz über eine streitige Restwerklohnforderung teilte die Klägerin des Verfahrens mit Mail ihres anwaltlichen Vertreters von 9h19 der Beklagten mit, in welcher Höhe die Forderung aus der Schlussrechnung mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts bestehe und dass eine weitere Forderung nicht erhoben werde. Ferner wurde der Verzugsschaden geltend gemacht.
Mit einer weiteren Mail, die um 9h56 versandt wurde, erklärten die anwaltlichen Vertreter der späteren Klägerin gegenüber der Beklagten, dass eine abschließende Prüfung der Forderung wurde durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei und ihre vorherige Mail unberücksichtigt bleiben müsse. Sie könnten nicht bestätigen, dass mit der Zahlung des in ihrer vorherigen Mail angeforderten Betrags keine weiteren Forderungen erhoben würden.
Wenige Tage später legte die Klägerin eine Schlussrechnung vor, die einen höheren Betrag auswies. Die Beklagte überwies der Klägerin den in der ersten Mail von 9h19 ausgewiesenen Betrag inkl. Verzugsschaden.
Die Klage, mit der der Differenzbetrag geltend gemacht wurde, blieb durch drei Instanzen erfolglos.
Der BGH führt aus, dass die Klägerin der Beklagten mit Mail ihrer anwaltlichen Vertreter, die um 9h19 versandt wurde, ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB unterbreitet habe. Dieses Angebot habe die Beklagte durch die zur Anweisung gebrachte Zahlung der in der Mail ausgewiesenen Summe wirksam angenommen, § 147 II BGB.
Insbesondere sei das Angebot der Klägerin per Mail um 9h19 zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen. Die Mail wurde im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt. Damit sei sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Die Mail sei, so der BGH, so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen konnte. Dass die Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, sei für den Zugang nicht erforderlich.
Damit sei der mit Mail vom selben Tag, 9h56 erklärte Widerruf des Angebots verspätet. Laut BGH konnte die Klägerin dieses Angebot um 9h56 nicht mehr gemäß § 130 I 2 BGB wirksam widerrufen.