Widerruf eines Fernabsatzvertrages (hier Werkvertrag) nach Ortstermin?
von Lieb Rechtsanwälte
Ein Beitrag von RA Dr. Klaus Lieb, FA für Medizinrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Sachverhalt:
In den vom Oberlandesgericht Schleswig mit Urteil vom 15.10.2021 – 1 U 122/20 – entschiedenen Fall schlossen der Auftraggeber (ein Verbraucher) und eine Gartenbaufirma einen Bauvertrag über Gartenbauarbeiten. Sie trafen sich vor Ort, damit die Gartenbaufirma die Gegebenheiten erkunden konnte. Im Anschluss an den Ortstermin überreichte die Firma postalisch das Angebot, das der Auftraggeber telefonisch annahm. Für die mangelfrei ausgeführten Arbeiten zahlte der Auftraggeber € 28.829,80. Kurze Zeit später erklärte er den Widerruf der Auftragserteilung und begehrte Rückerstattung.
Rechtliche Beurteilung:
Der Auftraggeber hatte auch in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Schleswig keinen Erfolg. Das Gericht verneinte einen den Widerruf nach § 355 BGB rechtfertigenden Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c BGB. Zwar sei der Vertragsschluss durch Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgt, nicht aber die Vertragsverhandlungen als solche. Nach dem Schutzbedarf des Verbrauchers im Werkvertragsrecht lägen Vertragsverhandlungen schon dann vor, wenn der Verbraucher aufgrund eines gemeinsamen Ortstermins die Möglichkeit habe, im persönlichen Gespräch mit dem Auftragnehmer hinreichend Informationen zu erfragen, um ein später individuell gefertigtes Angebot sachgerecht zu beurteilen. Es sei nicht erforderlich, dass die Parteien beim Ortstermin Einzelheiten des Vertrages verhandelten. Anders als bei Verträgen über Lieferung von Waren könne sich der Verbraucher bei einem Werkvertrag von dem noch zu erstellenden Werk vorab ohnehin keinen Eindruck von dessen Qualität verschaffen. Auch sei der Vertrag nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs oder Dienstleistungssystems des Auftragnehmers zustande gekommen, da der Auftragnehmer seine Angebote stets erst aufgrund der Durchführung eines Ortstermins erstelle.
Praxishinweis:
Die Entscheidung des OLG Schleswig kann nicht dahingehend verallgemeinert werden, dass mit der Durchführung eines Ortstermins automatisch ein Widerruf nach dem Fernabsatzvertrag entfällt. Im vorliegenden Fall gab der Unternehmer Angebote regelmäßig erst nach vorhergehendem Ortstermin ab, wobei sein Geschäftsbetrieb nicht auf den Fernabsatz ausgerichtet ist.