Vorsorge bei Krankheit, Unfall – was der Arzt zu beachten hat (Teil1)

von Lieb Rechtsanwälte

Von heute auf morgen kann sich das Leben eines Menschen infolge eines Unfalls oder schwerer Krankheit plötzlich ändern. Der Patient entscheidet normalerweise selbst, ob er sich von einem Arzt behandeln lässt, wenn er einwilligungsfähig ist, d.h. freiwillig handelt und vorher ausreichend aufgeklärt wurde. Ausgesprochene Behandlungsverbote sind vom Arzt zu beachten. Dies gilt auch für Behandlungsmaßnahmen am Lebensende (z.B. Abstellen der künstlichen Beatmung, Einstellung der künstlichen Ernährung durch Sonden). Die Entscheidung des Patienten, sich nicht behandeln zu lassen, ist zu beachten auch wenn der Arzt sie für unvernünftig hält.

Schwierig wird es, wenn die Fähigkeit des Patienten, sich zu äußern oder eigene Entscheidungen zu treffen, entfallen ist. Zwar kann der Arzt in Notfällen grundsätzlich von einer stillschweigenden Einwilligung in medizinisch gebotene Maßnahmen ausgehen, wenn weder der Patientenwille bekannt noch ein Vertreter vorhanden ist und die Behandlung keinen Aufschub duldet.

Anderenfalls müssen Dritte die Verantwortung für den Betroffenen übernehmen. Der Betroffene kann aber ein Stück weit und in gewissem Umfang Vorsorge treffen bzw. getroffen haben. Es stehen folgende "Versorgungsinstrumente" zur Verfügung:

Betreuung (§§ 1896 ff. BGB):
Anordnung vom Vormundschaftsgericht bei bestimmten geistigen/seelischen Behinderungen. Der Betreuer ist in seinem Aufgabenkreis gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Der Betroffene kann über eine sog. Betreuungsverfügung Anregungen und Wünsche zur Person des Betreuers und Art der Betreuung äußern.

Vorsorgevollmacht (§§ 164 ff., 196 I 2, III, 1904, 1906 BGB):
Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers erforderlich. Die Vollmacht richtet sich an das Vormundschaftsgericht und an die Bevollmächtigten (= rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter). Sie regelt die Vertretung durch einen Bevollmächtigten, damit es nicht zur Betreuung kommt; in machen Fällen ist trotzdem eine Betreuung erforderlich.

Patientenverfügung (keine spezielle gesetzliche Regelung):
Einwilligungsfähigkeit des Patienten erforderlich. Die Verfügung richtet sich an Ärzte, Pflegeberufe, Kliniken, Betreuer und Bevollmächtigte; unter Umständen an das Vormundschaftsgericht. Der Patient legt (beschränkt auf medizinische Vorgänge) seinen Willen im Voraus für den Fall des Eintritts einer bestimmten Situation nieder. Daneben kann es zur Betreuung kommen.  Eine Vorsorgevollmacht kann daher zweckmäßig sein.

Mit einer Patientenverfügung kann ein einwilligungsfähiger Mensch individuell seine künftige medizinische Behandlung im Falle seiner eigenen künftigen Äußerungsunfähigkeit regeln.

Der Arzt muss die Wirksamkeit der Patientenverfügung nachprüfen. Die Errichtung einer Patientenverfügung verlangt nur die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. Er muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife Bedeutung, Umfang und Tragweite des medizinischen Eingriffs und seiner Gestattung bzw. Versagung beurteilen können. Der Arzt kann von der Einwilligungsfähigkeit bei Abgabe der Patientenverfügung ausgehen, wenn nichts dagegen spricht.

Der Patient kann nur dann wirksam die Einwilligung in medizinische Maßnahmen erteilen oder ablehnen, wenn er vor oder bei der Errichtung der Patientenverfügung ärztlich aufgeklärt wird oder wurde oder bewusst trotz des damit verbundenen Risikos auf eine Aufklärung verzichtet. Bei Behandlungsverboten (Ich will keine künstliche Ernährung) ist eine vorherige Aufklärung hingegen nicht erforderlich.

Die Patientenverfügung enthält in der Regel Aussagen zu folgenden Punkten:

  • Persönliche Geltungsvoraussetzung, z.B. "Für den Fall, dass ich meinen Willen nicht mehr äußern kann ...",
  • Situation, für die die Patientenverfügung gelten soll, z.B. "Wenn ich unabwendbar unmittelbar im Sterben liege."
  • Festlegung der ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen, z.B. "Ich möchte nur eine Linderung der Schmerzen, Angst, Unruhe, Übelkeit und dergleichen erfolgen. Eine künstliche Ernährung bzw. Flüssigkeitszufuhr sollen nicht erfolgen, auch keine künstliche Beatmung, keine Wiederbelebung."
  • Interpretationshilfen, insbesondere Niederlegung allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Anschauungen;
  • Sterben zu Hause oder im Krankenhaus.

Patientenverfügungen richten sich an Ärzte, Krankenhäuser usw., eine Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht ist nicht vorgesehen. Eine Patientenverfügung muss daher so formuliert sein, dass sie für einen Arzt/Pfleger medizinisch brauchbar ist und dem Willen des Verfügenden entspricht. Formulierungen wie "menschenunwürdiges Dasein, erträgliches Leben, angemessene Möglichkeiten, qualvolles Leiden, Apparatemedizin, in Würde sterben" sind auslegungsbedürftig oder inhaltsleer. Sätze, wie "Ich will möglichst lange leben, lehne aber bestimmte lebenserhaltende Maßnahmen ab", sind widersprüchlich.

Problematisch wird es bei Behandlungsverboten, deren Beachtung zum Tod des Patienten führen würde. Es gibt Fälle, in denen ein kranker Mensch, z.B. ein Wachkoma-Patient, zehn Jahre und länger künstlich gehalten werden kann, in dem er künstlich ernährt wird. Was gilt, wenn der Patient verfügt hat: "Ich will keinesfalls künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt werden"? Umfasst das Selbstbestimmungsrecht des Patienten auch das Recht, zu sterben? Oder ist die Patientenverfügung nur wirksam wenn ein Grundleiden mit einem tödlichen Verlauf gegeben ist.

Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ("Lübecker Fall", NJW 2003, 1588) müssen, wenn ein Patient einwilligungsunfähig ist und sein Grundleiden einen irreversiblen (= unumkehrbaren) tödlichen Verlauf angenommen hat, lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor (etwa in Form einer so genannten Patientenverfügung) Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Tödlicher Verlauf heißt dabei nicht, dass man im Sterben liegen muss. Hierin liegt das nächste Problem, da eine 100 %ige Prognose eines Krankheitsverlaufes in der Medizin nicht getroffen und daher auch nicht in jedem Fall verbindlich gesagt werden kann, wann ein tödlicher Verlauf vorliegt.

Der BGH hat in der zitierten Entscheidung an ein Urteil des BGH aus dem Jahre 1974 (Kemptner Fall, BGHst 40, 257) angeknüpft. Dort waren unter strafrechtlicher Betrachtung die Voraussetzungen passiver Sterbehilfe dahin definiert worden, dass "das Grundleiden unumkehrbar (irreversibel) einen tödlichen Verlauf genommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird". Der BGH strich also die Vorgabe des baldigen Todeseintritts.

Zu beachten ist auch das Alter der Patientenverfügung. Die Verfügung unterliegt zwar nach Ansicht des BGH keiner stillschweigenden zeitlichen Befristung (NJW 2003, 1588). Doch kann die Auslegung, ob die Patientenverfügung noch gelten soll, schwierig werden, je älter sie ist. Ob Behandlungsverbote in möglicherweise alten Patientenverfügungen aus gesunden Tagen noch bedeutsam sind, ist nicht unumstritten. Nach herrschender Meinung, so auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (NJW2003,1558) ist die Patientenverfügung grundsätzlich bindend. Das bedeutet, dass der Arzt ohne weitere Nachforschung über den Patienten den niedergelegten Willen auszuführen hat, was im Einzelfall für den Patienten nachteilig sein kann, wenn diese nicht mehr seinem eigentlichen Willen entsprochen hat. Die Patientenverfügung kann widerrufen und geändert werden. Allein aus dem Zeitablauf kann aber nicht entnommen werden, dass eine Willensänderung vorliegt.

Die Verfügung richtet sich an alle, die Behandlungs- oder Pflegemaßnahmen durchzuführen haben, sei es auch nur mittelbar. Adressaten sind also nicht nur Ärzte, Pflegepersonal, Kliniken, sondern auch Betreuer, Bevollmächtigte und das Vormundschaftsgericht. Ist die Verfügung im konkreten Fall aber überhaupt beachtlich? Das ist nicht immer einfach zu beantworten. Die Patientenverfügung ist eine Willenserklärung und unterliegt damit der Auslegung. Maßgebend ist der wirkliche Wille. Der Arzt muss sich daher folgende Fragen stellen:

  • Wurde die Verfügung wirksam errichtet? Wurde der Patient damals ausreichend aufgeklärt, soweit erforderlich?
  • War der Patient bei Abfassung der Patientenverfügung einwilligungsfähig?
  • Hat der Patient die von ihm unterschriebene Patientenverfügung überhaupt verstanden? Hier sind oft Zweifel, insbesondere dann, wenn nur ein Vordruck unterschrieben wird (z.B. ein einfach strukturierter Patient wünscht nur Palliativmedizin bei einer infausten Prognose).
  • Ist die Patientenverfügung ausreichend klar? (Stichwort "in Würde sterben").
  • Handelte der Patient bei Abgabe der Patientenverfügung nach seinem freien Willen? War er fremdbestimmt?
  • Patientenverfügung auf Vordrucken, möglichst noch mit Kreuzchen oder ja/nein werden von den Gerichten oft nicht akzeptiert.
  • Ist die Patientenverfügung für die jetzt eingetretene Situation überhaupt einschlägig?
  • Distanziert sich der Patient mit erkennbarem Widerrufswillen von seiner früheren Verfügung? Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Patientenverfügung nicht mehr dem Willen des Betroffenen entspricht?

Somit tauchen für den Arzt mit Vorlage der schriftlichen Patientenverfügung erhebliche Rechtsprobleme auf. Er hat die Anwendbarkeit der Patientenverfügung in alleiniger Verantwortung zu prüfen.

Anders verhält es sich, wenn der Betroffene einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten bestellt hat. Der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte hat eine herausgehobene Stellung bei der Entscheidung. Er braucht allenfalls eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (dies wird in Teil 2 behandelt).

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