Vorsorge bei Krankheit, Alter, Unfall – was der Arzt zu beachten hat (Teil 2)
von Lieb Rechtsanwälte
Eine Vorsorge bei Krankheit, Alter und Unfall kann auf verschiedene Art und Weise getroffen werden. Teil 1 behandelte die Patientenverfügung, als eine Art der Vorsorgemöglichkeiten.
Weitere "Versorgungsinstrumente" sind die Betreuung (§§ 1896 ff BGB) und die Vorsorgevollmacht (§§ 164 ff. BGB, 196 I 2, III, 1904, 1906 BGB), die bereits in Teil 1 kurz genannt wurden.
Die Betreuung wird durch ein Betreuungsverfahren eingeleitet, das meistens durch die Angehörigen, aber auch durch Pflegeheime, Kliniken, oder den Betroffenen selbst beim Vormundschaftsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, angeregt werden kann. Sind die Voraussetzungen für eine Betreuung gegeben und ist diese erforderlich (nicht im Fall einer vorhandenen Vorsorgvollmacht – dazu später !), bestellt das Gericht einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter des Betroffenen (§ 1902 BGB) und unter Bestimmung des Aufgabenkreises, der entweder alle Angelegenheiten oder nur einzelne Bereiche (etwa Gesundheitssorge, Unterbringung, Vertretung gegenüber Behörden etc.) umfasst. Die Bestellung wird spätestens nach sieben Jahren von Amts wegen überprüft. Sind die Voraussetzungen weggefallen, kann die Betreuung jederzeit aufgehoben werden.
Grenzen der Vertretungsmacht des Betreuers, u.a.:
- durch den Aufgabenkreis;
- Betreuung erlischt grundsätzlich mit dem Tod des Betreuten;
- Schranken durch Vormundschaftsgerichte; Aufsicht und Genehmigungsvorbehalte (der Bevollmächtigte dagegen nur bei bestimmten ärztlichen Gesundheitsmaßnahmen (§ 1904 BGB) und bei freiheitsentziehender Unterbringung des Betroffenen (§ 1906 BGB))
Angesichts der steigenden Zahl der Betreuungen (derzeit bestehen über 1,2 Mio. Betreuungen in Deutschland) propagiert der Staat in großem Umfang die Vorsorgevollmacht (derzeit sind über 325.000 Vollmachten registriert). Da dies zu wenig ist, plante der Gesetzgeber, solche Vollmachten in gewissem Umfang gesetzlich im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern und in bestimmten Fällen ein gesetzliches Vertretungsrecht u.a. in Gesundheitsangelegenheiten einräumen. Da der Gesetzesentwurf das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend berücksichtigte, ist der Entwurf bislang nicht umgesetzt worden.
Von dem gesetzlichen Vertretungsrecht (Betreuung) zu unterscheiden ist die rechtsgeschäftlich eingeräumte Vertretungsmacht, mithin die Vollmacht (§ 166 II BGB). Die Vorsorgevollmacht ist kein eigener Vollmachtstypus. Für Fälle der Gesundheitssorge und der freiheitsentziehenden Unterbringung (§§ 1904 II, 1906 V BGB) hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung getroffen. Motiv und Anlass für die Erteilung der Vollmacht ist die derzeitige oder künftige Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen. Die Vollmacht kann auch noch während des Betreuungsverfahrens oder nach Anordnung der Betreuung erteilt werden, um eine gerichtliche Betreuung zu vermeiden.
Der Vollmachtgeber muss bei Erteilung geschäftsfähig sein (§ 104 BGB). Dies gilt nach herrschender Meinung auch dann, wenn sich die Vollmacht nur oder auch auf die medizinische Behandlung und/oder die Entscheidung über die Unterbringung erstreckt. Wird der Vollmachtgeber nach Abgabe der Vollmachtserteilung, aber vor oder nach Empfang der Willenserklärung beim Bevollmächtigten, hilflos oder geschäftsunfähig, berührt das grundsätzlich die weitere Wirksamkeit der Vollmacht nicht.
In Gesundheits- -und Unterbringungssachen (§§ 1904 II, 1906 V BGB) ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen. Wer eine Vorsorge errichtet, will im Regelfall, dass sie erst verwendet werden kann und verwendet wird, wenn die Hilfsbedürftigkeit eingetreten ist. Das Problem liegt allerdings im Nachweis des Eintritts der Bedingung. Es besteht daher eine gewisse Missbrauchsgefahr. Selbst wenn für die Feststellung ein konkreter Arzt bestimmt wird, bleibt der Bedingungseintritt nach wie vor Quelle für einen Streit, abgesehen von der Problematik von „Gefälligkeitsattesten“.
Im Besonderen ist zu beachten, dass die Einwilligung des Vollmachtgebers in Gesundheitsangelegenheiten nur wirksam ist, wenn die Vollmacht die Maßnahmen des § 1904 I 1 BGB ausdrücklich umfasst (Konkretisierungsgebot). Der abstrakte Begriff "Sorge für meine Gesundheit" wird als unzureichend angesehen. Gleiches gilt für eine Vollmacht für medizinische/ärztliche Maßnahmen. Werden die Kriterien des § 1904 II BGB nicht erfüllt, ist die Einwilligung nicht wirksam.
Die Erteilung der Vollmacht lässt die Einwilligungsfähigkeit des Vollmacht- gebers unberührt. Ein Vollmachtgeber kann deshalb, falls bei ihm natürliche Einwilligungsfähigkeit vorliegt, in seine medizinische Behandlung wirksam selbst einwilligen, auch wenn er Vollmacht in Gesundheitssachen erteilt hat. Das kann auch gegen den Willen des Bevollmächtigten erfolgen.
Ist der Patient selbst nicht mehr einwilligungsfähig und handelt ein Bevollmächtigter für ihn, muss sich der Arzt davon überzeugen, ob der auftretende Bevollmächtigte zur Einwilligung berechtigt ist. Er hat sich die Vollmacht vorlegen zu lassen.
Problematisch wird es, wenn die derzeitige Einwilligungsfähigkeit des Vollmachtgebers zweifelhaft ist und dieser und der Bevollmächtigte insoweit verschiedener Meinung sind. Der Arzt weiß dann nicht, auf wen er abstellen soll. Ist er mit der Entscheidung des Bevollmächtigten nicht einverstanden, darf er nicht einfach davon abweichen (Ausnahme: Notfälle, Vermeidung erheblicher Gesundheitsgefährdung). Er kann aber das Vormundschaftsgericht verständigen, zur Prüfung, ob die Anordnung einer (Kontroll-)Betreuung angebracht ist.
Der Vollmachtgeber kann die Vollmacht jederzeit und ohne Angabe von Gründen, widerrufen. Da der Widerruf eine Willenserklärung ist, muss der Vollmachtgeber beim Widerruf geschäftsfähig sein. Dies gilt auch Gesundheitsangelegenheiten.
Nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit ist der Vollmachtgeber nicht mehr zu einem wirksamen Widerruf in der Lage. Widerrufen kann nur noch ein Kontrollbetreuer, Vollbetreuer oder eine Person, der der Vollmachtgeber in geschäftsfähigem Zustand das Widerrufsrecht eingeräumt hat. Eine von vornherein unwiderrufliche Vorsorgevollmacht widerspricht dem Sinn und Zweck dieser Bevollmächtigung (Verhinderung der Betreuung zum Wohl des Vollmachtgebers). Wird aber die Vollmachtsurkunde nicht zurückgegeben oder für kraftlos erklärt, bleibt nach § 172 II BGB im Außenverhältnis die Vertretungsmacht bestehen.
Während der Arzt bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung in alleiniger Verantwortung zu prüfen hat, ob diese Verfügung in dem konkreten Fall zu tragen kommt und anwendbar ist, trägt der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte aufgrund der herausgehobenen die Verantwortung und braucht allenfalls eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser den Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder lebensverlängernde Behandlung kann der Betreuer nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Der Betreuer darf auch die Willensbekundung des Betroffenen korrigieren, wenn der Betroffene sich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert oder die Sachlage sich nachträglich so erheblich geändert hat, dass die frühere selbstverantwortlich getroffene Entscheidung die aktuelle Sachlage nicht umfasst.
Mit anderen Worten: Der Betreuer hat den Wünschen gemäß der Patientenverfügung zu entsprechen. Die Wünsche sind nicht maßgebend, wenn der Betroffene an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will; ferner, soweit dies dem Wohle des Patienten nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist (§ 1901 III BGB).Für den Bevollmächtigten ergibt sich eine gleichartige Pflicht.
Nicht richtig ist die Auffassung, mit einer Patientenverfügung wäre eine Betreuung entbehrlich. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht gekoppelt ist. Die Betreuung ist durch den Aufgabenkreis weiter gefasst, als die Patientenverfügung, die nur Behandlungsgebote und –verbote enthält. Eine Patientenverfügung ohne entsprechende Vorsorgevollmacht ist dagegen ein ziemlich stumpfes Schwert.