Vertragsarztrecht: Zulassungsverzicht zwecks Anstellungsgenehmigung im Medizinischen Versorgungszentrum, Tätigkeitsumfang des ausscheidenden Arztes, Nachbesetzungsrecht des MVZ

von Lieb Rechtsanwälte

Das Bundessozialgericht entschied mit Urteil vom 04.05.2016, B 6 KA 21/15 R:

1. Verzichtet ein Arzt auf seine (volle) Zulassung, um in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) im Umfang einer Dreiviertelstelle tätig zu werden, kann die Stelle nach seinem Ausscheiden aus dem MVZ auch nur im Umfang einer Dreiviertelstelle nachbesetzt werden.

2. Das Recht zur Nachbesetzung einer in das MVZ eingebrachten Stelle steht dem MVZ grundsätzlich nur zu, wenn der Arzt dort mindestens drei Jahre tätig war, oder – wenn er früher ausscheidet – jedenfalls ursprünglich die Absicht hatte, dort mindestens drei Jahre tätig zu sein.

Aus den Entscheidungsgründen:

Eine „Nachbesetzung“ setzt voraus, dass sich die neue Anstellung hinsichtlich des Umfangs im Rahmen der bisherigen Besetzung hält, d. h. sie darf deren Umfang nicht überschreiten. Damit übereinstimmend bestimmt § 52 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie, dass die Nachbesetzung der Stellen von angestellten Ärzten in einem MVZ bei angeordneten Zulassungsbeschränkungen nur im zeitlichen Umfang der Beschäftigung des ausgeschiedenen Arztes möglich ist. Der Arzt, dessen Anstellung genehmigt wird, verliert seine Zulassung durch den erklärten Verzicht, und die Anstellungsgenehmigung wird nicht ihm, sondern dem MVZ erteilt. Für die Beantwortung der Frage, ob eine ganze Stelle oder nur eine anteilige Stelle nachbesetzt werden kann, kann es demnach nicht auf die Zulassung ankommen, auf die der Angestellte zuvor verzichtet hatte, sondern nur auf den Umfang der dem MVZ hierauf erteilten Anstellungsgenehmigung. (Anmerkung: Im vorliegenden Fall wurde der auf seine Zulassung verzichtende Arzt mit 23,5 Wochenstunden – Bedarfsplanungsrechnungsfaktor 0,75 – angestellt. Der Zulassungsausschuss genehmigte die Anstellung im Umfang einer Dreiviertelstelle.)

Weiter befasste sich das Bundessozialgericht mit der Frage der Beschränkung des Tätigkeitsumfangs des ausscheidenden Arztes und der Mindestdauer der Angestelltentätigkeit. Es stellte hierzu u. a. fest:

Um auch die Interessen der Ärztinnen und Ärzte zu wahren, die zwar tatsächlich noch in einem MVZ tätig werden, altersbedingt aber ihren Tätigkeitsumfang allmählich vermindern wollen, kann sich die angestrebte Anstellung für eine Dauer von wenigstens drei Jahren als zentraler Indikator für den Tätigkeitswillen im Sinne des § 103 Abs. 4a Satz 1 SGB V nur auf die Tätigkeit als solche beziehen. Wenn ein solcher Arzt zunächst ein Jahr in dem Umfang im MVZ tätig war, in dem er zuvor als zugelassener Arzt an der Versorgung teilgenommen hat, seinen Beschäftigungsumfang in den beiden folgenden Jahren aber vermindert, etwa indem er jeweils seinen Beschäftigungsumfang schrittweise um den Anrechnungsfaktor ein Vierteil reduziert, wirkt sich dies nicht auf das Nachbesetzungsrecht des MVZ aus, sodass insoweit die allgemeinen Regelungen gelten (vgl. dazu das Urteil vom heutigen Tage zum Aktenzeichen B 6 KA 28/15 R). Voraussetzung einer Nachbesetzung ist aber jedenfalls, dass der Arzt, der auf seine Zulassung verzichtet hat, überhaupt als Angestellter im MVZ tätig werden wollte, und eine Möglichkeit zur Nachbesetzung besteht grundsätzlich auch nur in dem Umfang, in dem der Arzt seine Tätigkeit im MVZ aufgenommen hat. Soweit ein Arzt nicht tätig geworden ist, entfällt die Nachbesetzungsmöglichkeit; ist er in geringerem Umfang als mit einer ganzen Stelle angestellt worden, ist eine Nachbesetzung in dem von vornherein nicht in Anspruch genommenen Umfang der Beschäftigung ausgeschlossen.

Praxishinweis:

Der Entscheidung des Bundessozialgerichts kann nicht entnommen werden, dass der „ehemalige“ Vertragsarzt erst nach 12-monatiger Tätigkeit seinen Beschäftigungsumfang um eine Viertelstelle und erst nach weiteren 12 Monaten erneut um eine Viertelstelle reduzieren kann. Das Bundessozialgericht nennt in seiner Entscheidung nur eine Möglichkeit der Arbeitszeitgestaltung. Arzt und MVZ sind in der Entscheidung, in welchem Umfang die Tätigkeit reduziert werden soll, frei, solange der (ehemalige) Vertragsarzt nur mindestens mit einem Versorgungsauftrag einer Viertelstelle drei Jahre angestellt ist. Entscheidend ist der Status als solcher. Ein Arzt kann jederzeit seine Tätigkeit reduzieren, solange er den Status des Angestellten behält und sich sein Tätigkeitsfeld auf die ärztliche Tätigkeit als solche bezieht. Nur diese Betrachtungsweise wird dem allgemeinen Recht auf Arbeitszeitreduktion nach dem Teilzeit und Befristungsgesetz gerecht.

Das Bundessozialgericht schließt mögliche Ausnahmen für den Fall einer Änderung der Verhältnisse in der Zeit zwischen dem Verzicht auf die Zulassung und der Aufnahme der Angestelltentätigkeit, etwa dem Versterben des Arztes nicht aus. Ebenso ist nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts trotz einer Beendigung der Anstellung vor Ablauf der drei Jahre die Nachbesetzung nicht gefährdet, wenn der Arzt erkrankt, insbesondere berufsunfähig wird oder aus anderen zwingenden Gründen seine Berufs- oder Lebensplanung ändern musste. Entscheidend ist die ernsthafte Absicht einer Weiterbeschäftigung von mindestens drei Jahren als Kriterium der Sitzeinbringung.

Wir verweisen auch auf unseren Beitrag im med-ius vom 02.06.2016. Damals lag nur der Terminbericht des Bundessozialgerichts vor.

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