Vertragsarztrecht Wirtschaftlichkeitsprüfung: Sind „teuerste“ Patienten als Praxisbesonderheit von Amts wegen zu berücksichtigen?

von Lieb Rechtsanwälte

Fall:

Die Gemeinsame Prüfungsstelle setzte gegen einen Orthopäden einen Regress in Höhe von rund € 64.000,00 als Ergebnis der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2007 fest. Hiergegen erhob der Orthopäde Widerspruch. Die Überschreitung begründete er mit seinen Tätigkeitsschwerpunkten, insbesondere im Bereich der ambulanten und stationären Operationen. Seine osteologische Tätigkeit habe zu einem überdurchschnittlich hohen Anteil an chronisch behandlungspflichtigen Patienten geführt mit einem hohen Anteil an Verordnungen von Antiosteoporotika und Opiaten. Wegen des besonderen Patientenguts und der besonderen Patientenstruktur sei eine Richtgrößenprüfung mit der Fachgruppe nicht möglich. Der Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch zurück. Hiergegen klagte der Orthopäde. In der Klagebegründung trug er erstmals vor, dass die zehn teuersten Patienten allein € 25.000,00 an Heilmitteln verbraucht hätten. Es sei unverständlich, warum der Beschwerdeausschuss dies nicht berücksichtigt habe. Das Sozialgericht hob den Bescheid des Beschwerdeausschusses mit der Begründung auf, die Prüfgremien hätten dem Vortrag zu den teuersten Patienten von Amts wegen nachgehen müssen, weil dies typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich sei.

Das Landessozialgericht Hamburg sah dies in seinem Urteil vom 01.04.2015 – Az.: L 5 KA 66/13 – anders.

Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg

Das Sozialgericht habe, so das Landessozialgericht, die Beweislastverteilung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung verkannt. Zwar könnten besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände eine Praxisbesonderheit darstellen. Jedoch sei es nicht Pflicht der Prüfgremien, die teuersten Patientenfälle von Amts wegen näher zu untersuchen.

Für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen obliegt, so das Landessozialgericht Hamburg, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die Darlegungs- und Feststellungslast dem Arzt. Die Prüfgremien sind lediglich dann zur Ermittlung von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher auffällig sind. Der Kläger (Orthopäde) verkennt diese Beweislastverteilung, wenn er darauf abstellt, dass der Beklagte den ihm bekannten Umstand, dass allein die zehn teuersten Patienten des Klägers ein Verordnungsvolumen von € 25.000,00 verursacht hätten, nicht unter dem Gesichtspunkt Praxisbesonderheiten berücksichtigt habe. Schwere Behandlungsfälle mit erhöhtem Behandlungsbedarf kommen in jeder Praxis vor und sind deshalb auch mitbestimmend für den Vergleichswert der Arztgruppe. Sie machen als solche nicht vornherein eine Praxisbesonderheit aus. Wenn nur zehn Patienten derart hohe Heilmittelkosten verursachen, deutet dies allerdings auf einen spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungsbedarf der Patientenklientel hin. Es ist dann aber Sache des Vertragsarztes, darauf aufbauend den besonderen Zuschnitt seiner Patientenschaft zu beschreiben und plausibel zu machen, aufgrund welcher Umstände seine Praxis signifikant von vergleichbaren Arztpraxen abweicht. Diese Umstände liegen allein in der Sphäre des Klägers. Er muss deshalb darlegen, weshalb sich die Zusammensetzung seiner Patienten auf sein Behandlungsverhalten ausgewirkt hat. Dazu müssen spezielle Strukturen aufgezeigt werden und es ist notwendig, dass der Vertragsarzt seine Patientenschaft und deren Erkrankungen systematisiert. Dies kann z. B. in der Weise geschehen, dass er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz von seinen Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Behandlung bzw. Arzneien durchschnittlich für die Therapie einer solchen Erkrankung erforderlich ist. Daraus lassen sich dann der besondere Zuschnitt der von ihm behandelten Patientenschaft, evtl. auch seine spezifischen Behandlungsmethoden sowie ggf. auch seine spezifischen Qualifikationen erkennen. All dies konnte der Beklagte aus den vorliegenden Behandlungsausweisen nicht ohne weiteres erkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Arzt jedenfalls gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren, aber spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss, geltend zu machen, die sich auch aus der Atypik seiner Praxis ergeben. Nur Aspekte, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Gremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen bzw. die anhand der bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorhandenen Unterlagen oder der Angaben des Arztes zumindest erkennbar sind, bedürfen keines Hinweises des Arztes.

Hinweis:

Bei einem Regress muss der Vortrag bereits im Vorverfahren sorgfältig und vollständig erfolgen. Der Vortrag, die zehn teuersten Fälle machten allein € 25.000,00 aus, genügt eben nicht für die erforderliche Konkretisierung. Die Entscheidung gibt einen Anhalt, was seitens des Arztes vorzutragen ist. Eine Säumnis im Vorverfahren kann im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden.

 

Quelle: AMK 07/2015, S. 4


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