Strafrecht und Künstliche Intelligenz im digitalen Zeitalter – Herausforderungen und Perspektiven

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RAin Yağmur Depboylu

Die Digitalisierung schreitet mit enormer Geschwindigkeit voran – insbesondere die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) und virtuellen Welten wie dem Metaverse eröffnet völlig neue Realitäten. Diese technischen Fortschritte haben nicht nur Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, sondern stellen auch das Strafrecht vor grundsätzliche Herausforderungen. In einer Zeit, in der Deepfakes täuschend echt sind, Avatare virtuelle Identitäten übernehmen und Algorithmen Strafrisiken vorhersagen, wird deutlich: Das Strafrecht muss sich weiterentwickeln.

Mit der Entstehung virtueller Räume und KI-gestützter Systeme wachsen auch die Möglichkeiten für Straftaten: Identitätsdiebstahl im Metaverse, sexuelle Belästigung durch Avatare oder der Missbrauch von KI für Betrugsmaschen wie CEO-Fraud und Deepfake-Erpressung sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern bereits Realität. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt – mit erheblichen juristischen Konsequenzen: Wer haftet bei Schäden durch autonome Systeme? Welche Rechtsordnung gilt im virtuellen Raum? Und wie kann der Opferschutz auch digital gewährleistet werden?

Ein besonderes Augenmerk gilt der Fehleranfälligkeit von KI. Algorithmen, die zur Gefahrenprognose oder Verdachtsanalyse eingesetzt werden, basieren auf historischen Daten. Diese Daten können jedoch verzerrt oder diskriminierend sein. In der Folge besteht die Gefahr, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen systematisch häufiger ins Visier geraten – nicht aufgrund tatsächlicher Risiken, sondern aufgrund algorithmischer Voreingenommenheit. Das untergräbt das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung und stellt eine neue Form struktureller Diskriminierung dar.

Hinzu kommt die Problematik des Datenschutzes. KI-Systeme, die im Rahmen der Strafverfolgung eingesetzt werden, greifen häufig tief in die Privatsphäre ein. Sie sammeln und analysieren große Mengen persönlicher Daten, oft ohne explizite Zustimmung der Betroffenen. Damit droht eine Aushöhlung zentraler Grundrechte – insbesondere des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Schutzes vor staatlicher Überwachung. Der Gesetzgeber steht daher vor der Aufgabe, neue Schutzmechanismen zu schaffen, die der technologischen Realität gerecht werden.

Gleichzeitig bietet KI auch Chancen für die Strafverfolgung. Durch intelligente Datenanalyse können Ermittlungsverfahren effizienter geführt werden – etwa durch die Auswertung großer Datenmengen, die Rekonstruktion von Tathergängen oder die Erkennung kinderpornografischer Inhalte im Netz. Auch die Strafzumessung könnte durch eine datengestützte Analyse vergleichbarer Fälle transparenter und einheitlicher werden. Entscheidend ist jedoch, dass KI-Systeme lediglich unterstützend eingesetzt werden – die letzte Entscheidung muss stets bei einer unabhängigen Richterin oder einem Richter liegen.

Ein zukunftsfähiges Strafrecht muss technologisch anschlussfähig sein, ohne dabei seine rechtsstaatlichen Grundprinzipien zu opfern. Es erfordert eine präzise Definition strafbarer Handlungen im digitalen Raum, eine klare Regelung der Verantwortlichkeit bei dem Einsatz von KI-Systemen sowie einen wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte. Ebenso zentral ist eine kritische und transparente Kontrolle algorithmischer Entscheidungen, um mögliche Diskriminierungen oder Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Nicht zuletzt braucht es einen kontinuierlichen Dialog zwischen Technologie, Recht und Ethik – um ein Strafrecht zu schaffen, das Sicherheit gewährleistet und zugleich die Freiheit im digitalen Zeitalter schützt.

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