Sachverständigengutachten

von Lieb Rechtsanwälte

Pflichten des Gerichts bei unklarem Sachverständigengutachten

Werden von einer Partei ernstzunehmende Bedenken gegen ein Gutachten erhoben, so ist das Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Klärung verbleibender Zweifel verpflichtet (BGH, Beschluss vom 21.01.2009 – VI ZR 170/08).

Entscheidung des Gerichts:
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Fall hatte der Sachverständige erstmals erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, die Unterlassung einer bestimmten Untersuchung vor der streitgegenständlichen Operation sei ein grober Fehler. Obwohl die Beklagte hierauf mit Schriftsatz im Einzelnen darlegte, dass die Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen nicht von der einschlägigen Fachliteratur gestützt werde, ging das Landgericht dem nicht nach. Auch die Berufung wurde zurückgewiesen. Hingegen hatte die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg. Der Senat stellte fest, dass gerade in Arzthaftungsprozessen Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen seien. Dies gelte sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger, selbst wenn es dabei um Privatgutachten gehe. Auch der beklagte Arzt habe Anspruch auf eine ordnungsgemäße Befassung des Gerichts mit seinem Vortrag. Eine eigene Sachkunde des Berufungsgerichts sei nicht ausgewiesen und auch nicht anzunehmen. Es habe einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts bedurft. Diese könne einer Partei im Arzthaftungsprozess nicht deswegen verwehrt werden, weil sie kein dem gerichtlichen Sachverständigengutachten entgegenstehendes Privatgutachten vorgelegt oder einen anderen Sachverständigen nicht benannt habe. Ausreichend sei, dass neue und ernstzunehmende Bedenken gegen Teile des Gutachtens erhoben werden. Dem entspreche die Pflicht des Gerichts, von sich aus verbleibende Zweifel zu klären. Das Berufungsgericht hätte dem rechtzeitigen Vortrag der Beklagten nachgehen und die Widersprüche und Unklarheiten der Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen zumindest durch deren nochmalige Anhörung oder auch durch Beauftragung eines weiteren Gutachtens aufklären müssen.

Hinweis für die Praxis:
Der BGH hat mit dieser Entscheidung erneut bestätigt, dass gesteigerte Sachaufklärungspflichten auf Seiten des Gerichts in einem Arzthaftungsprozess bestehen. Die Behandlungsseite ist nicht verpflichtet, Privatgutachten vorzulegen oder andere Sachverständige namentlich zu benennen. Es genügt, die Einwendungen unter Beweis eines Sachverständigengutachtens vorzutragen.

Quelle: Gesundheitsrecht 2009,189 ff

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