Patientenakte: Informationsinteresse des Patienten versus Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arztes.

von Lieb Rechtsanwälte

Das Verwaltungsgericht München entschied mit Urteil vom 27.09.2016 – M 16 K 15.5630 –, dass das grundrechtlich geschützte Informationsinteresse des Patienten dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arztes vorgeht. Der Entscheidung lag folgende Vorschrift in einer ärztlichen Berufsordnung zugrunde: „Der Arzt hat dem Patienten auf sein Verlangen in die ihn betreffende Dokumentation Einsicht zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder erhebliche Rechte des Arztes oder Dritter entgegenstehen.“ Eine solche Regelung verstößt, so das Verwaltungsgericht, gegen § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB und ist deshalb nicht genehmigungsfähig.

Nach § 630g Abs. 1 BGB ist dem Patienten auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.

Das Verwaltungsgericht München nahm daran Anstoß, dass die Vorschrift in der ärztlichen Berufsordnung erhebliche Rechte Dritter, erhebliche therapeutische Gründe und erhebliche Rechte des Arztes nacheinander bzw. nebeneinander ohne irgendeine Differenzierung nennt. Nach der Gesetzesbegründung und der Entstehungsgeschichte des § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe sich deutlich, dass nach der Regelung im BGB nur höchst ausnahmsweise eine Einsichtsverweigerung in die Patientenakte bzw. die Dokumentation bei entgegenstehenden Rechten eines Arztes möglich sein soll. Auch die einschlägige Kommentarliteratur versehe die Rechte des behandelnden Arztes mit einem niedrigeren Rang als die entgegenstehenden Rechte Dritter und die entgegenstehenden therapeutischen Gründe. Der Gesetzgeber habe die Entscheidung getroffen, entgegenstehenden Rechten eines Arztes ein geringeres Gewicht – als etwa den Rechten Dritter – beizumessen. Diese Vorgabe komme in der Vorschrift nicht zum Ausdruck.

Praxishinweis:

Die ärztliche Berufsordnung als öffentlich-rechtliche Norm hat keinen Einfluss auf den Auskunftsanspruch des Patienten nach § 630g Abs. 1 Satz 1 BGB.

Soweit wortlautgleiche Berufsordnungen in anderen Bundesländern das Recht der Einsichtnahme in die Patientenakte unter dem Blickwinkel des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arztes einschränken, tut der Arzt gut daran, sich an die zivilrechtliche Regelung zu halten.

Quelle: GesR 126-127/2017

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