Notvertretungsrecht von Ehegatten ab 2023

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RA Dr. Klaus Lieb, FA für Medizinrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

Erleidet ein Ehegatte einen Unfall oder wird er plötzlich schwer krank mit der Folge, dass er seine Gesundheitsangelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann, war der Partner bislang zum Zuschauen gezwungen, wenn nicht eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vorlagen. Der andere Ehegatte besitzt nach derzeitiger Rechtslage kein Vertretungsrecht. Dieses Dilemma soll sich mit Wirkung zum 01.01.2023 ändern. Danach wird ein gegenseitiges Notvertretungsrecht unter Ehegatten in § 1358 BGB n.F. eingeführt. Die Ehegatten sollen füreinander Entscheidungen über medizinische Behandlungen etc. treffen und Behandlungsverträge abschließen können, wenn ein Ehegatte aufgrund Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheit nicht mehr selbst erledigen kann. Allerdings sind die Ehegatten nur unter eng begrenzten Voraussetzungen zur sechsmonatigen Vertretung berechtigt. Stichpunktartig ist zu beachten sind:

  • Die neuen Regelungen gelten auch für Lebenspartner nach § 21 Lebenspartnerschaftsgesetz, jedoch nicht für Lebensgefährten oder sonstige Angehörige.
  • Das neue Vertretungsrecht greift nur, soweit der Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht in der Lage ist, seine Angelegenheit zu besorgen. Diese Vorgabe orientiert sich an den Voraussetzungen der Betreuerbestellung.
  • Ungeachtet der Notvertretung des § 1358 BGB darf nach § 630d Abs. 1 Satz 4 BGB eine unaufschiebbare medizinische Maßnahme auch ohne Einwilligung durchgeführt werden, wenn eine Einwilligung hierzu nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, sofern sie dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
  • Der andere Ehegatte ist nicht verpflichtet, das Vertretungsrecht wahrzunehmen.
  • Das Notvertretungsrecht gestattet die Vertretung nur in bestimmten, in § 1358 Abs. 1 BGB geregelten Angelegenheiten, nämlich:

 

  1. Einwilligung in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe, Untersagung von Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe sowie Entgegennahme ärztlicher Aufklärung,
  2. Abschluss sowie Durchsetzung von Behandlungsverträgen, Krankenhausverträgen oder Verträgen über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege,
  3. Entscheidungen über freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 4 BGB, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet,
  4. Geltendmachung von Ansprüchen wie Versicherungsleistungen oder Beihilfeansprüche, die dem vertretenen Ehegatten aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, Abtretung an die Leistungserbringer oder Zahlungsverlangen an die Leistungserbringer aus den Verträgen nach Nr. 2.
  5. Das Vertretungsrecht erfasst auch jene Behandlungen und Eingriffe, die im Zuge der unabhängig von der das Vertretungsrecht auslösenden Erkrankung erstmals diagnostiziert werden und deren Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig und aufschiebbar ist.

 

  • Die Aufklärung hat gegenüber dem vertretenden Ehegatten zu erfolgen. Dieser ist auch berechtigt, die in diesem Zusammenhang entstandenen Patientenunterlagen einzusehen.
  • Eine Vertretung im Rahmen des Ehegattennotvertretungsrechts ist ausgeschlossen, wenn der erkrankte Ehegatte eine Vertretung durch den anderen Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge ablehnt (z. B. Widerspruch gegen das Ehegattennotvertretungsrecht), Eintrag im Zentralen Vorsorgeregister) oder schriftlich oder mündlich widerspricht oder eine andere Person mit der Vertretung in Angelegenheiten der Gesundheitssorge bevollmächtigt wurde (Vorsorgevollmacht) oder für den erkrankten Ehegatten ein Betreuer in Angelegenheiten der Gesundheitssorge gerichtlich bestellt worden ist.
  • Weder den vertretenden Ehegatten noch den behandelnden Arzt trifft eine Prüf- oder Nachforschungspflicht, wenn eine Vertretung durch den Ehepartner nicht gewünscht wird. Dem Arzt ist allerdings ein Einsichtsrecht in das Zentrale Vorsorgeregister eröffnet, um festzustellen, ob eine Vorsorgevollmacht oder ein Widerspruch gegen das Ehegattenvertretungsrecht eingetragen ist.
  • Das Recht zur Vertretung des erkrankten Ehegatten ist zeitlich auf höchstens sechs Monate beschränkt.

 

Da das Vertretungsrecht in der Regel gegenüber verschiedenen Ärzten und Einrichtungen ausgeübt werden muss, benötigt der vertretende Ehegatte hierfür einen Nachweis seiner Vertretungsberechtigung. Mit der erstmaligen Ausübung des Vertretungsrechts ist von dem behandelnden Arzt ein Dokument auszustellen, aus dem sich das Vorliegen der Voraussetzungen für das Vertretungsrecht und seine Dauer ergeben. Das Bundesministerium der Justiz, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben ein Formular zur Ehegattennotvertretung entworfen, abrufbar unter www.bundesaerztekammer.de.

 

Hinweis:

Die Ehegattennotvertretung ist ausschließlich auf eine begrenzte Zahl von Gesundheitsangelegenheiten beschränkt. Sie besteht zudem nur für max. 6 Monate. Wer sicherstellen will, dass er von einer von ihm selbst bestimmten Vertrauensperson im Vorsorgefall umfassend vertreten wird und vermeiden will, dass in Zweifelsfällen ein gerichtlich bestellter Betreuer stattdessen handelt, benötigt weiterhin eine umfassende und individuelle Vorsorgevollmacht.

Nach der Gesetzesänderung zum 01.01.2023 soll eine privatschriftliche Vorsorgevollmacht nicht über den Tod des Verstorbenen hinaus wirken. Verbleibt es bei dieser Vorgabe, wären Vorsorgevollmachten bei Bedarf notariell zu beurkunden, sofern eine Wirkung über den Tod hinaus gewünscht wird.

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