Mehr Schutz gegen Antisemitismus notwendig?
von Lieb Rechtsanwälte
Ein Beitrag von RAin Yağmur Depboylu
In Deutschland wird der Schutz jüdischen Lebens als besondere staatliche Verantwortung betrachtet. Vor dem Hintergrund der historischen Verbrechen des Nationalsozialismus ist der Kampf gegen Antisemitismus ein zentrales Anliegen der Innen- und Rechtspolitik. Dennoch soll in den vergangenen Jahren ein Anstieg antisemitischer Straftaten verzeichnet worden sein – sowohl im digitalen Raum als auch im öffentlichen Leben. Berichten zufolge seien neben verbalen Angriffen und antisemitischer Hetze auch physische Übergriffe sowie Anschläge auf Synagogen und andere jüdische Einrichtungen dokumentiert worden, sodass man nun über eine Ausweitung strafrechtlicher Schutzmechanismen und weitere staatliche Maßnahmen zur Sicherung jüdischen Lebens diskutiert.
Demnach wird Antisemitismus insbesondere durch den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB erfasst, der Teile der Bevölkerung vor Hassrede, Hetze sowie dem Leugnen oder Verharmlosen historischer Verbrechen, vor allem des Holocausts, schützen soll. Auch im digitalen Raum könnten strafbare Äußerungen verfolgt werden, sofern sie öffentlich erfolgen oder den öffentlichen Frieden gefährden.
Trotz der bestehenden Schutzrechte wird dieser Schutz von einigen Beobachtern als nicht ausreichend angesehen. In Politik und Fachkreisen wird daher diskutiert, wie der strafrechtliche Schutz vor antisemitischen Handlungen weiter verbessert werden kann. Dabei steht unter anderem die Erweiterung von § 130 StGB zur Debatte, um auch codierte oder indirekte antisemitische Aussagen besser erfassen zu können. Zudem werden eine Absenkung der Strafbarkeitsgrenze bei Hassrede im Internet sowie eine verbesserte technische und personelle Ausstattung der Ermittlungsbehörden gefordert. Die Einrichtung zentraler Meldestellen für antisemitische Vorfälle, unabhängig von deren strafrechtlicher Relevanz, ist ebenfalls Gegenstand der Diskussion.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Schutz jüdischer Einrichtungen. Es wird wiederholt gefordert, den Schutz von Synagogen, Schulen und Kulturzentren gesetzlich zu verankern. Dies umfasst sowohl eine dauerhafte Polizeipräsenz an besonders gefährdeten Orten als auch staatlich finanzierte bauliche Sicherheitsmaßnahmen. Besonders an jüdischen Feiertagen wird die Notwendigkeit eines verlässlichen Schutzkonzepts betont.
Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Verbesserung des Opferschutzes diskutiert, etwa durch erweiterte Klagerechte, psychosoziale Prozessbegleitung und eine stärkere Einbindung von Opferverbänden. Der verfassungsrechtliche Schutz vor Antisemitismus wird vor allem durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit gemäß Art. 4 GG gewährleistet. Zudem ist Deutschland völkerrechtlich und europarechtlich verpflichtet, antisemitische Straftaten systematisch zu erfassen und zu verfolgen.
Insgesamt erfährt dieses Thema in Deutschland gegenwärtig hohe rechtliche, politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Die laufenden Diskussionen zielen darauf ab, bestehende Schutzrechte wirksamer zu gestalten und neue Instrumente zu entwickeln.
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass sich Deutschland im Rahmen seiner historischen Verantwortung entschieden für den Schutz jüdischen Lebens und gegen Antisemitismus einsetzt. Zugleich stellt sich jedoch die grundsätzliche Frage, ob Schutzmechanismen nicht allen Menschen gleichermaßen offenstehen sollten, die von Diskriminierung, Hass oder Gewalt betroffen sind, unabhängig von Herkunft, Religion oder Gruppenzugehörigkeit. Eine auf einzelne Gruppen fokussierte Schutzpolitik kann dabei den Eindruck erwecken, dass nicht alle Betroffenen in gleicher Weise berücksichtigt werden oder dass bestimmte Positionen ungeachtet ihres Inhalts automatisch Rückhalt erfahren. Eine umfassende und faire Anwendung verfassungsmäßiger Rechte ist nach wie vor eine zentrale Aufgabe des demokratischen Rechtsstaats.