Lebensverlängerung als Schaden?

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RA Dr. Klaus Lieb, FA für Medizinrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in seiner Entscheidung vom 7.4.2022- 1BvR 1187/19 mit der Frage zu befassen ob ein vertraglicher oder deliktischer Schadensersatzanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Selbstbestimmungsrecht des Patienten gestützt werden kann, wenn die lebenserhaltende Maßnahme aufrechterhalten wurde.

Hintergrund der Verfassungsbeschwerde war ein medizinrechtlicher Streit um die Behandlung eines dementen Schmerzpatienten. Der Patient wurde über fünf Jahre bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Seine Demenz war zuletzt soweit fortgeschritten, dass eine Kommunikation mit ihm gänzlich unmöglich war. In den letzten eindreiviertel Jahren litt er  regelmäßig an Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrenden Druckgeschwüren sowie an sich wiederholenden Lungenentzündungen. Auf Grund seines schlechten Allgemeinzustandes wurde von einer operativen Therapie wegen einer Gallenblasenentzündung abgesehen. Auf eine intensivmedizinische Behandlung wegen einer zuletzt aufgetreten Aspirationspneumonie wurde verzichtet. Der Patient verstarb sodann im Krankenhaus. Er hatte weder eine Patientenverfügung errichtet noch ließ sich sein Wille zum Einsatz lebenserhaltende Maßnahmen feststellen.

Nach dem Tod nahm der Sohn des Patienten den Hausarzt auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen der künstlichen Ernährung seines Vaters in den fünf Jahren in Anspruch. Das Oberlandesgericht sprach dem Sohn ein Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 € zu, während die Vorinstanz die Klage noch abgewiesen hatte. Auf die Revision des verklagten Arztes hob der BGH mit Urteil vom 2.4.2019-VI ZR 13/18-das Urteil des OLG auf. Zur Begründung führte er aus, dass menschliches Leben absolut erhaltungswürdig sei. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Deshalb verbiete es sich, ein Leben gegenüber dem Tod als Schaden anzusehen. Es entziehe sich auch menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil sein kann.

Die von dem Sohn eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das menschliche Leben, so das Bundesverfassungsgericht ist nach Maßgabe des Grundgesetzes höchstrangiges Rechtsgut und dem Grunde nach absolut erhaltungswürdig. Der Schutzauftrag des Staates zugunsten des Lebens ende aber dort, wo das Selbstbestimmungsrecht beginne. Denn die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, sei von existenzieller Bedeutung für die Persönlichkeit.

Das Bundesverfassungsgericht wie auch der BGH ließen ausdrücklich offen, ob ein Schadensersatzanspruch auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Selbstbestimmungsrecht des Patienten gestützt werden könne, wenn die lebenserhaltende Maßnahme gegen den Patientenwillen aufrechterhalten werden würde.

Hinweis:
Auch im Lichte dieser Entscheidungen ist nicht ausgeschlossen, dass eine lebenserhaltende Maßnahme, die gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt wird, haftungsrechtliche Folgen haben kann.

Wer auf Grund des eigenen Selbstverständnisses selbst entscheiden will, das eigene Leben zu beenden, sollte eine Patientenverfügung errichten. Wir beraten Sie gerne bei der Abfassung.

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