Korrektes IGeLn
von Lieb Rechtsanwälte
In vielen Haus- und Facharztpraxen werden individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) angeboten, welche von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht übernommen werden und deren Kostenerstattung durch private Krankenversicherungen ungewiss ist. Innerhalb eines Jahres bekamen laut einer Umfrage des wissenschaftlichen Instituts der AOK 25,2 % aller Patienten, hochgerechnet 18 Mio. Menschen, IGeL-Leistungen offeriert.
In den Medien wurde zuletzt in scharfer Form der Unsinn mancher individueller Gesundheitsleistungen angeprangert. Der Vorwurf, es würden auf dem IGeL-Markt Geschäfte in rechtlichen Grauzonen abgewickelt, stellt sich bei dem korrekten Umgang mit IGeL nicht. Der Arzt wie auch der Patient steht vor folgenden Fragen:
Darf ein Vertragsarzt Kassenpatienten auch Leistungen außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen anbieten (1)? Darf er diese dann privat liquidieren (2)? Welche Regelungen muss er beachten, um solche Leistungen unter Beachtung des Berufs- und Vertragsarztrechtes zu erbringen (3)?
1. GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) - finanzierte Krankenbehandlung
Gesetzlich Krankenversicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 2, 12 SGB V). Der Inhalt der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnungsfähigen Leistungen ist im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abschließend beschrieben. Die GKV-Leistungen dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können die Versicherten nicht beanspruchen, dürfen die Ärzte nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen ((§ 12 Abs. 1 S. 2 SGB V). Was notwendig ist, wird hauptsächlich durch den medizinischen Zweck der Leistung bestimmt. Unter Zugrundelegung dieses Leistungszwecks können notwendig nur jene Maßnahmen sein, die nach Art und Umfang unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar sind.
Der Vergütungsanspruch richtet sich gegen die Kassenärztliche Vereinigung. Es besteht grundsätzlich kein Vergütungsanspruch für ärztliche Leistungen gegen Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung. Ausnahmsweise ist ein Vergütungsanspruch gegen gesetzlich Versicherte gegeben, wenn der Versicherte ausdrücklich vor Behandlungsbeginn verlangt, auf eigene Kosten behandelt zu werden und dies schriftlich erklärt oder wenn der Versicherte bei seiner Krankenkasse Kostenerstattung gewählt hat.
Im Gegensatz dazu ist der Gebührenschuldner in der privatärztlichen Versorgung der Patient selbst, der über die erbrachten Leistungen von seinem Arzt eine Rechnung nach den Vorschriften der GOÄ erhält.
Als Zwitter zwischen diesen Systemen wurde 1998 von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Privatliquidation bei GKV-Versicherten für andere als GKV-Leistungen unter dem gesetzlich nicht definierten Begriff der Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) eingeführt. Bei diesen handelt es sich ausschließlich um Leistungen, die nicht Gegenstand des GKV-Leistungskataloges sind, gleichwohl von Kassenpatienten nachgefragt werden und deren Erbringung ärztlich empfehlenswert, zumindest jedoch je nach Intensität des Patientenwunsches ärztlich vertretbar sind.
Wünscht der Patient über das notwendige Maß hinausgehende ärztliche Leistungen, dürfen diese auf Grund eines privaten Behandlungsvertrages erbracht werden. Wünscht der Patient eine über das Maß des Notwendigen hinausgehende Verordnung, ist diese auf Privatrezept zulässig.
2. Abrechnung der IGeL
Alle Rechnungen für ärztliche Leistungen sind nach der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu erstellen. Werden Leistungen erbracht, die nach GOÄ abgerechnet werden, müssen Patienten sie bezahlen, wenn die Leistungen pflichtgemäß erbracht wurden.
Um Zahlungsprobleme zu vermeiden, empfiehlt sich eine schriftliche Vereinbarung mit dem Patienten, die nach § 1 Abs. 2 S. 2 GOÄ den Text enthält:
"Auf Verlangen des Zahlungspflichtigen werden nach erfolgter Aufklärung folgende privatärztliche Behandlungen vereinbart."
Die Vereinbarung muss nach der Rechtsprechung einzeln und auf den speziellen Fall abgestimmt mit dem Patienten besprochen und ausgehandelt werden. Die Festlegung von Pauschalpreisen oder Festpreisen ist unzulässig.
3. Zu beachtende Regelungen
Der 109. Deutsche Ärztetag stellte zehn Gebote zum korrekten IGeLn auf. Unter anderem wurde formuliert:
(1) Sachliche Informationen
Dem Arzt ist es gestattet, den Patienten mit sachlichen Informationen auch unaufgefordert zu versorgen, wenn dies in zurückhaltender und unaufdringlicher Weise erfolgt, etwa mittels eines Informationsblattes, und erkennbar wird, dass der allgemeinen Information eine spezielle und individuelle Beratung nachfolgen muss. Unzulässig sind marktschreierische und anpreisende Werbung und eine Kopplung sachlicher Informationen mit produktbezogener Werbung.
(2) Leistungsinhalt
Das IGeL-Angebot muss sich auf Leistungen beziehen, die entweder erforderlich oder aus ärztlicher Sicht empfehlenswert bzw. sinnvoll, zumindest aber vertretbar sind. Es darf sich nicht um gewerbliche Dienstleistungen handeln. Bei Leistungen, die bei entsprechender Indikation als GKV-Leistungen zu erbringen sind, erfolgt die Abrechnung ausschließlich gegenüber der KV.
(3) Keine unsachliche Beeinflussung
Jede unsachliche Beeinflussung hat zu unterbleiben. Die Beratung zum IGeLn darf den Patienten nicht verunsichern oder gar verängstigen. Der Patient darf nicht zur Inanspruchnahme einer Leistung gedrängt und es dürfen keine falschen Erwartungen geweckt werden.
(4) Aufklärung
Es gelten die üblichen Regeln für die Patientenaufklärung. Bei Leistungen, die nicht dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, muss umfassend über Alternativen aufgeklärt werden, sowie darüber, warum diese Behandlung in Betracht zu ziehen ist.
Der Arzt schuldet dem Patienten auch eine wirtschaftliche Aufklärung. Er muss den Patienten darauf hinweisen, dass IGeL nicht von der GKV übernommen werden. Die wirtschaftliche Aufklärung ist rechtlich eine Nebenpflicht, die sich aus dem Behandlungsvertrag ergibt. Wird sie schuldhaft verletzt, besteht eine Haftung des Arztes. Das bedeutet praktisch: Der Patient muss die Rechnung nicht begleichen. Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, ist eine schriftliche Bestätigung zweckmäßig.
(5) Informations- und Bedenkzeit
Dem Patienten sollte eine angemessen Informations- und Bedenkzeit eingeräumt werden.
(6) Schriftform
Die Erbringung von Leistungen, die im speziellen Fall nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind, setzt das vorherige schriftliche Einverständnis des Patienten voraus. Um Beweis- und Zahlungsproblemen vorzubeugen, sollte im Rahmen der Erklärung auf die Kostenfolge hingewiesen werden.
(7) Basis der Abrechnung
Basis für die Behandlungsabrechnung ist ausschließlich die GOÄ. Das Verbot von Pauschalpreisen ist zu beachten.
4. Exkurs Privatversicherung
Im Gegensatz zur GKV ist der Gebührenschuldner in der privatärztlichen Versorgung der Patient selbst. Dieser erhält über die erbrachten Leistungen von seinem Arzt eine Rechnung nach Maßgabe der GOÄ.
Grundsätzlich ist die Prüfung der Kostenerstattung Sache des Privatpatienten. Es ist nicht Aufgabe des Arztes, nachzuforschen und anstelle des Patienten zu klären, ob und in welchem Umfang private Krankenversicherer Kosten erstatten. Wenn dem behandelnden Arzt aber bekannt ist, dass die Leistungen im Allgemeinen von privaten Krankenversicherungen nicht erstattet werden, ist von einer Aufklärungspflicht auszugehen. Gleiches gilt, wenn der Privatpatient erkennbar eine Fehlvorstellung von der Kostenerstattung hat.