Kartellrecht und DSGVO – Bundeskartellamt darf Datenschutzbestimmungen berücksichtigen
von Lieb Rechtsanwälte
Ein Beitrag von RAin Natalie Freiin von Beust
Mit Urteil vom 04. Juli 2023 (EuGH, C-252/21) hat der EuGH entschieden, dass das Bundeskartellamt im Rahmen kartellrechtlicher Abwägungsentscheidungen auch datenschutzrechtliche Bestimmungen – vorbehaltlich der Erfüllung ihrer Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den (Datenschutz-)aufsichtsbehörden - berücksichtigen darf.
Konkret ging es in dem Verfahren vor dem EuGH um die Entscheidung des Bundeskartellamts gegen Meta (der Facebook-Mutterkonzern) aus dem Jahr 2019. In dieser Entscheidung wurde Meta per Beschluss vor allem untersagt, Daten ohne Einwilligung der Nutzenden aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und damit Facebooks Marktmacht zu missbrauchen. Es ging dabei insbesondere um die Zusammenführung von Daten (bspw. von WhatsApp, Instagram etc.), um den jeweiligen Verbraucher:innen personalisierte Werbung anbieten zu können. Gegen diesen Beschluss legte Meta Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein, welches daraufhin dem EuGH Fragen dazu vorlegte, wie bestimmte Normen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)auszulegen sind und vor allem geklärt haben wollte, ob das Bundeskartellamt innerhalb kartellrechtlicher Abwägungsentscheidungen auch Normen der DSGVO berücksichtigen darf. Der EuGH hat nun geurteilt, dass das Bundeskartellamt die Befugnis dazu hat, die Bestimmungen der DSGVO bei der rechtlichen Abwägung zur Marktbeherrschung eines Unternehmens mit einzubeziehen. Aufgrund der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit mit den (Datenschutz)-Aufsichtsbehörden darf das Bundeskartellamt jedoch nicht von einer Entscheidung der zuständigen (Datenschutz-)Aufsichtsbehörde in Bezug auf die datenschutzrechtlichen Vorgaben abweichen und muss bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit datenschutzrechtlicher Bestimmungen die Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde anstreben und erbitten. Die marktbeherrschende Stellung sei ein wichtiger Aspekt für die Prüfung, ob die Einwilligung in die Datenverarbeitung freiwillig und damit wirksam war. Von der freiwilligen Abgabe der Daten bei Facebook und anderen Plattformen kann auf keine Universalzustimmung zur beliebigen und jedweden Verarbeitung der Daten geschlossen werden. Auch die Finanzierung Facebooks durch personalisierte Werbung stelle kein „berechtigtes Interesse“ dar, um eine beliebige Datenverarbeitung zu rechtfertigen. Die Dateneingabe bei sozialen Medien sei eben gerade kein „öffentlich machen“ im Sinne der DSGVO – sie zählt nur dann als öffentlich, wenn der Nutzende vorher, ggf. in voller Kenntnis der Sachlache vorgenommene individueller Einstellungen, ausdrücklich seine Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, die ihn betreffenden Daten einer unbegrenzten Anzahl von Personen öffentlich zugänglich machen zu wollen. Die Beweislast für diese umfangreiche Einwilligung, deren Rechtmäßigkeit und insbesondere die Freiwilligkeit der Einwilligung trifft den Betreiber der Plattform. Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten und die Reduzierung dieser Verarbeitung auf das Notwendigste liegt im öffentlichen Interesse und ist damit ein entsprechend stark geschütztes Gut.
Mit diesem Urteil wird die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft unterstützt. Gerade in der Kartellrechtsdurchsetzung spielen Daten eine enorm große Rolle, da sie ein entscheidender Faktor für die Begründung der Marktmacht sind. Dabei kann insbesondere die Nutzung persönlicher Daten von Verbraucher:innen durch Internetkonzerne kartellrechtlich missbräuchlich sein. Es ist essentiell, dass Datenschutzregeln auch von den Wettbewerbsbehörden bei Anwendung des Kartellrecht berücksichtigt werden dürfen, um den Fortschritt der Digitalisierung einerseits zu unterstützen und andererseits den Missbrauch einer Marktmacht einzudämmen und zu verhindern.
Das vor dem Gericht anhängige Verfahren am OLG Düsseldorf wird nun auf Grundlage dieser Entscheidung des EuGH fortgesetzt werden. Das Bundeskartellamt und Meta befinden sich derzeit in Gesprächen zur Umsetzung des Beschlusses aus dem Jahr 2019 und Anpassung der Datenschutzbestimmungen bei Meta.