Kann ein Gläubiger bei erfolgreichen Vollstreckungsmaßnahmen Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz eines Insolvenzschuldners haben?

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RAin Nicola Kastner-Hippel

Das Kammergericht Berlin hat über einen Rückzahlungsanspruch im Rahmen einer Insolvenzanfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung (§ 133 InsO) entschieden, nachdem in den Jahren vor Insolvenzantragstellung erfolgreiche Vollstreckungsmaßnahmen zur Befriedigung eines Gläubigers führten, obwohl bereits Mahn- und Vollstreckungsdruck durch die Existenz weiterer Gläubiger bestand (Urt. vom 14.05.2024 – 14 U 90/23).

Der klagende Insolvenzverwalter begehrte im Wege der Insolvenzanfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung die Rückzahlung von rund 325.000.-€, die die schuldnerische GmbH in den vier Jahren vor Antragstellung an die Finanzbehörden gezahlt hatte. Die angefochtenen Zahlungen waren auf Grundlage von Vollstreckungen (Kontopfändungen) oder Vollstreckungsankündigungen erfolgt, die jedoch unstreitig jeweils erfolgreich waren.

Das LG Berlin hatte der Klage weitgehend stattgegeben, da die Schuldnerin nach dessen Begründung mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hatte. Die für eine erfolgreiche Klage zwingend erforderliche Kenntnis des Beklagten von diesem Vorsatz ergab sich laut LG Berlin aus der gesetzlichen Vermutungswirkung des § 133 I 2 InsO. Danach wird die Kenntnis eines Gläubigers vom entsprechenden Vorsatz des Schuldners vermutet, wenn der Gläubiger weiß, dass die Zahlungsunfähigkeit droht und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt.

Das KG sah das anders und hat die Klage unter Abänderung des Urteils abgewiesen:

In Betracht komme in diesem Fall ausschließlich eine Anfechtung gem. § 133 I InsO. Nach der Auffassung des KG fehlt es aber an der erforderlichen Kenntnis des Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Insbesondere greife die gesetzliche Vermutung des § 133 I 2 InsO nicht. Herangezogen werden könnten nur Umstände, die der beklagte Anfechtungsgegner kannte. Bereits nach der Rechtsprechung des BGH ermögliche allein die zwangsweise Durchsetzung einer Forderung keinen zwingenden Schluss auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners über Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung eines Schuldners. Die Vorsatzanfechtung beruhe nicht auf der Gläubigergleichbehandlung, sondern schütze das Interesse der Gläubiger, dass der Schuldner ihre prinzipiell gleichen Befriedigungschancen nicht beeinträchtige.

Zu berücksichtigen sei, dass ein Gläubiger tatsächlich in der Lage sein müsse, entweder seine Forderung effektiv durchzusetzen oder einen Insolvenzantrag zu stellen. Solange der Gläubiger im Rahmen der Forderungsdurchsetzung keine weiteren Umstände erfahre, die zu einem zwingenden Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit führten, genügten ein Verzug des Schuldners und sein Schweigen auf die gerichtliche Durchsetzung der Forderung nicht. Ansonsten wäre ein einzelner Gläubiger, der ohne den Versuch einer zwangsweisen Durchsetzung seiner Forderung normalerweise keinen aussichtsreichen Insolvenzantrag stellen könne, wegen der Gefahr einer erleichterten Vorsatzanfechtung gezwungen, ein zögerliches Zahlungsverhalten seines Schuldners zu akzeptieren. Der Schluss auf eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit setze daher voraus, dass andere Erklärungsmöglichkeiten für das Zahlungsverhalten des Schuldners sicher ausschieden. Dies gelte auch, wenn ein Schuldner keine sachlichen Einwendungen gegen die Forderung erhebe. Die gesetzliche Vermutung verlange die Überzeugung, dass ein Gläubiger positive Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder der Zahlungseinstellung hatte. Eine grob fahrlässige oder leichtfertige Unkenntnis soll hier nicht genügen.

Im zu entscheidenden Fall kannte der Beklagte nur das Zahlungsverhalten der Schuldnerin ihm gegenüber. Unstreitig bestand kein Kontakt zur Schuldnerin im Zeitraum der streitgegenständlichen Zahlungen.

Der Beklagte wusste zwar, dass die Schuldnerin ihre Steuerschulden zunächst hauptsächlich und später fast ausschließlich im Wege der Vollstreckung beglich und hierdurch auch Rückstände entstanden. Gleichzeitig war aber bekannt, dass es im Rahmen der Vollstreckung keine Drittschuldnererklärungen gab. Die Zwangsvollstreckungen waren immer unmittelbar erfolgreich. Vor diesem Hintergrund genügte dem KG das bei dem Beklagten vorhandene Wissen um das Zahlungsverhalten des Schuldners nicht, um einen zwingenden Schluss auf eine Zahlungseinstellung zu begründen. Nachdem die Vollstreckungsmaßnahmen regelmäßig unmittelbar Erfolg hatten sprach dies aus Sicht des Gerichts auch aufgrund der Höhe und Häufigkeit der Maßnahmen für das ausreichende Vorhandensein liquider Mittel. Zusätzlich sei es dem Beklagten angesichts der erfolgreichen Vollstreckungsmaßnahmen und auch wegen des von ihm als Teil der öffentlichen Hand zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht möglich gewesen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Ein Eröffnungsgrund hätte durch die Bescheinigung von fruchtlosen Vollstreckungsversuchen oder eine eidesstattliche Versicherung der Schuldnerin glaubhaft gemacht werden müssen. In einem solchen Fall dürfe einem Gläubiger aber die effektive Durchsetzung seiner Forderungen durch Einzelzwangsvollstreckung nicht durch die Annahme der Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit verwehrt werden.

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