Heilmittelverordnung - Regressgefahr

von Lieb Rechtsanwälte

Gefahr für Heilmittel-Regresse besteht weiter – kein Freibrief durch BSG-Urteil!

Von Vertragsärzten wird allgemein eine patientengerechte medizinische Versorgung erwartet. Wird hierbei der Verordnungsrahmen überschritten, kann dies zu empfindlichen Regressen führen. In manchen KV-Regionen reichen einige wenige Dauerpatienten schon aus, um gefährlich nahe an die Grenze zum Regress zu geraten. Durch eng gesteckte Richtgrößen und strenge Wirtschaftlichkeitsprüfungen wird vor allem Hausärzten bei der Heilmittelverordnung der Spielraum genommen. Kritisch wird es, wenn ein Akutpatient vorstellig wird. Dann droht der Regress ! Auch wenn sich der Vertragsarzt an die Heilmittel-Richtlinien hält, ist er noch lange nicht vor Regressforderungen geschützt.

Ein Urteil des Bundessozialgericht vom 29.11.2006 (Az.: B 6 KA 7/06 R), das zunächst einmal überwiegend Klarheit über die Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Neufassung der Heilmittelrichtlinien schafft, sorgt derzeit für Euphorie bei verschiedenen Heilmittel- und Berufsverbänden, da das Bundessozialgericht sich nebenbei auch zum Stellenwert der Heilmittelrichtlinien für die Vertragsärzte geäußert hat. Hierin wird ein Signal gesehen, wonach vor allem Hausärzte als Hauptverordner von Heilmitteln im Hinblick auf die Regressgefahr aufatmen können sollen, solange sie sich bei der Verordnung nach den Heilmittel-Richtlinien richten.

Nach Aussage des Bundessozialgerichts haben die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu den Heilmitteln für Ärzte auch eine Schutzfunktion. Eine auf den einzelnen Arzt ausgerichtete Wirtschaftlichkeitsprüfung reicht nach Auffassung der Richter nicht, um auch eine wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten. Dies hängt damit zusammen, dass für bestimmte seltenerer einzusetzende Heilmittel (z.B. Sprachtherapie) statistische Vergleichszahlen fehlen. Nach Auffassung der Richter ist es besser, vorher eindeutige Vorgaben für Erst- und Wiederholungsverordnungen zu schaffen, statt im Nachhinein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten anzuprangern. Im Urteil heißt es: „Derartige Vorgaben schützen – wenn sie beachtet werden – den Vertragsarzt davor, in großem und möglicherweise existenzbedrohenden Umfang für Verordnungen in Regress genommen zu werden, die sich im Nachhinein als unwirtschaftlich erweisen.“ In begründeten Einzelfällen sind auch Abweichungen erlaubt.

Das Urteil könnte oberflächlich gesehen dergestalt als Freibrief verstanden werden, dass durch die im Urteil festgestellte Schutzwirkung der Heilmittel-Richtlinien das Verordnungsvolumen erhöht und den Vertragsärzten die Angst vor Regressen genommen werden soll. Vor einer derart großzügigen und voreiligen Einschätzung ist jedoch Vorsicht geboten !

Bei genauerer Betrachtung des Urteils wird klar, dass die Heilmittel-Richtlinien trotz ihrer Schutzfunktion die verordnenden Ärzte nicht von ihrer Pflicht entbindet, wirtschaftlich zu verordnen. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die korrekte Indikationsstellung, Verordnungshäufigkeit und Patientenstruktur zu beachten. Nr. 13 der Heilmittel-Richtlinien legt fest, dass der Arzt vor jeder Verordnung zu überprüfen hat, ob das Behandlungsziel auch kostengünstiger erreicht werden kann (etwa durch eigenverantwortliche Maßnahmen des Versicherten, wie Sport). Nur wenn dies nicht der Fall ist, darf eine Verordnung nach Maßgabe der Heilmittel-Richtlinien erfolgen. Dies hat zur Folge, dass auch etwa im Hinblick auf die verordnete Menge, nach Nr. 16 der Richtlinien im Einzelfall zu prüfen ist, was wirtschaftlich und notwendig ist. Die Vorgaben der G-BA bieten daher nur dann Schutz vor einem Regress, wenn die Heilmittelbehandlung unstreitig notwendig ist. Der Arzt ist somit nur im Umfang der jeweils einzelnen Verordnung vor Regressen geschützt, wenn er die Heilmittel-Richtlinien und deren Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit beachtet hat.

Mit folgendem Problem hat sich das Bundessozialgericht nicht auseinander gesetzt:
Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden anhand von statistischen Vergleichen mit Kollegen der Fachgruppe oder nach Richtgrößen durchgeführt. Fällt ein Arzt in der Statistik auf, weil er etwa für wesentlich mehr Patienten Heilmittel in einer der Richtlinien entsprechenden Menge und Indikation verordnet hat, muss er sich dafür rechtfertigen, dass er bei so vielen Patienten die Verordnung für notwendig hielt.

Fällt der Arzt aufgrund der Gesamtzahl aller Heilmittelverordnungen aus dem Rahmen, kann er allenfalls einwenden, dass eine Praxisbesonderheit vorliegt, er etwa eine von der Fachgruppe abweichende Patientenstruktur hat. Diese Abweichung muss er beweisen. Gelingt dies nicht, muss er Regress zahlen. Dass er sich bei jeder einzelnen Verordnung an die Heilmittel-Richtlinien gehalten hat, hilft ihm somit nichts. Dies gilt auch für die Richtgrößenprüfung. Auch hier besteht eine Beweislast im Hinblick auf eine Notwendigkeit aufgrund von Praxisbesonderheiten.

Fazit: Die Heilmittel-Richtlinien allein bieten keinen 100%igen Schutz vor Regress. Der Vertragsarzt muss somit weiterhin, nicht nur bei der Einzelverordnung, sondern auch bei der Gesamtverordnungsmenge seiner Patienten den Wirtschaftlichkeitsaspekt im Auge behalten, will er sich nicht der Regressgefahr aussetzen. Geht es aber um den Beleg der Notwendigkeit einer verordneten Therapie im Einzelfall, können die Heilmittel-Richtlinien als wichtige Argumentationshilfe heran gezogen werden.

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