Grober Behandlungsfehler

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Behandlungsfehler ist als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 139/10 (GesR81/2012)

Der Kläger war wegen Schmerzen im Brustraum, Atemnot, Schwindelgefühl und Erbrechen vom Notarzt in eine Klinik eingewiesen worden. Dort wurde ein Myokardinfarkt diagnostiziert. Der Arzt entschied sich für eine medikamentöse Behandlung. Später wurde ein akuter Hinterwandinfarkt und eine Postinfarktangina festgestellt. Die medikamentöse Behandlung blieb weiter angeordnet. Der Kläger legte der Klinik zur Last, keine sofortige Fibrinolysetherapie (medikamentöse Auflösung von Blutgerinnseln) durchgeführt zu haben. So wäre das thrombotisch verschlossene Infarktgefäß wieder eröffnet und das Herzmuskelgewebe vor irreversiblen Schädigungen bewahrt worden.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat die sofortige Durchführung einer Fibrinolyse nach Einlieferung des Patienten für zwingend indiziert gehalten. Gleichwohl hielt er das Vorgehen des behandelnden Arztes für nachvollziehbar, weil ein Behandlungskonzept verfolgt worden sei. Dem Arzt sei somit subjektiv kein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen. Das Oberlandesgericht Frankfurt schloss sich dieser Auffassung an.

Der BGH sah dies anders. Er stellte fest, dass es auf die subjektive Vorwerfbarkeit nicht ankommt. Die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden, sondern knüpft daran, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den Kausalitätsbeweis nicht zumuten kann. Erforderlich aber auch genügend ist deshalb ein Fehlverhalten, das nicht aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint.

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