Gläubigerbenachteiligung trotz Geltendmachung des abgeflossenen Betrages im Wege des Vorsteuerabzugs

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RAin Nicola Kastner-Hippel

Der BGH hat über eine Insolvenzanfechtung entschieden, in der eine GmbH Einfuhrumsatzsteuer i.H. von fast 13 Millionen Euro an das Hauptzollamt abgeführt hatte; zum Zeitpunkt der Zahlung war dem Hauptzollamt der Insolvenzantrag bereits bekannt (Urt. vom 08.02.2024 – IX ZR 194/22).

Die Schuldnerin hatte am 27.03.2020 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung gestellt und zusätzlich die Durchführung eines Schutzschirmverfahrens beantragt. Das Hauptzollamt war am 9.4.2020 von dem Eröffnungsantrag informiert worden. Zwischen dem 15.4. und dem 15.6.2020 (Eröffnung erfolgte am 1.7.2020) zahlte die Schuldnerin Einfuhrumsatzsteuer wegen Einführung von Ware aus einem Nicht-EU-Land in Höhe von fast 13 Millionen Euro. Die Steuern wurden in den Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug gebracht. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangte der klagende Sachwalter von der Bundesrepublik (Hauptzollamt) die Rückzahlung des Betrages. Das Verfahren wurde durch einen Insolvenzplan beendet; im Plan war zusätzlich vorgesehen, dass die bei Aufhebung des Verfahrens anhängigen Rechtsstreitigkeiten über Anfechtungsansprüche für Rechnung der Schuldnerin durch den Sachwalter weitergeführt werden könnten. Dieser war erstmals vor dem OLG erfolgreich; der BGH wies die Revision der Beklagten zurück.

Nach Auffassung des BGH war die Klage begründet, § 130 I 1 Nr. 2, § 129 I InsO. Danach ist eine Zahlung, die nach dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgenommen wurde und der Zahlungsempfänger zum Zeitpunkt der Zahlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder den Eröffnungsantrag kannte, bei Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung anfechtbar. Die Beklagte kannte zum Zeitpunkt der Zahlungen den Eröffnungsantrag auf Grund der Information der Schuldnerin; OLG und BGH bejahten zusätzlich trotz der bestehenden Berechtigung zum Vorsteuerabzug die mittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger. Die Masseschmälerung durch die Zahlungen werde insbesondere nicht durch die geringere Steuerlast der Schuldnerin ausgeglichen.

Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Gläubigerbenachteiligung (§ 129 I InsO) vor, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die aktive Masse verkürzt und dadurch der Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird. Notwendig ist, dass die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen wären.

Dies ist laut BGH hier der Fall. Er führt in den Entscheidungsgründen aus, dass gemäß § 15 I 1 Nr. 2 UStG das Recht der Schuldnerin auf Vorsteuerabzug nicht erst mit der Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer entstehe, sondern bereits mit ihrer Entstehung, so dass es an der notwendigen Anknüpfung des in dem Recht zum Vorsteuerabzug liegenden Vorteils an die angefochtenen Rechtshandlungen in Gestalt der Steuerzahlungen fehle. Zusätzlich sei lediglich eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung erforderlich. Für diese reicht es aus, wenn sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Anfechtungsprozess ergibt, dass die Möglichkeit der Insolvenzgläubiger, sich aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, durch das Hinzutreten weiterer Umstände beeinträchtigt wurde. Hier sei der von der Schuldnerin getätigte Vorsteuerabzug nur eine unselbstständige Besteuerungsgrundlage einer Steuerberechnung und stelle für sich genommen keine zugunsten der Insolvenzgläubiger verwertbare Vermögensposition dar. Auch stehe es der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen, wenn die Erfüllung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs eine Pflicht zur Vorsteuerabzugsberichtigung nach sich zöge und sich eine daraus folgende Umsatzsteuerforderung in Höhe des Rückgewähranspruchs erhöhte. Die Pflicht zur Berichtigung und die sich daraus ergebende Umsatzsteuerforderung seien Folge der Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs und wären nicht entstanden, wenn die angefochtenen Einfuhrumsatzsteuerzahlungen nicht erfolgt wären. Durch die Zahlungen seien spätere Insolvenzforderungen über die im Insolvenzplan vorgesehene Quote hinaus ausgeglichen worden, was die übrigen Insolvenzgläubiger benachteilige.

 

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