Gerichtsverhandlung per Videokonferenz: Wann liegt eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) vor?

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RAin Nicola Kastner-Hippel

Die Kläger eines Verfahrens vor dem FG hatten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz selbst beantragt. Während der Verhandlung stellten sie fest, dass im Gericht eine Kamera zum Einsatz gekommen war, die keine Zoomfunktion hatte und dementsprechend die Richterbank nur vollständig zeigte. Sie konnten daher wegen der fehlenden steuerbaren Zoomfunktion die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht nicht prüfen.

Aufgrund dessen sahen sie sich in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 I 2 GG verletzt und erhoben Verfassungsbeschwerde. Diese hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Nach Auffassung des BVerfG erscheint eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter wegen eines fehlenden Nahblicks in die Gesichter der Richter im Laufe einer Videoverhandlung nicht möglich.

Niemand darf nach der grundgesetzlichen Regelung seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Dies bedeutet, so das BVerfG, zunächst, dass in jedem Einzelfall kein anderer als derjenige Richter tätig werden und entscheiden solle, der in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte dafür vorgesehen ist. Zusätzlich gewährleiste das GG den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet. Es sei neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 I und II GG) wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem nicht beteiligten Dritten ausgeübt werde. Die richterliche Tätigkeit erfordere daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten; somit garantiere das Recht auf den gesetzlichen Richter zusätzlich, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt. Dies sei zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit.

Im zu entscheidenden Fall werde, so das BVerfG, jedoch nicht bemängelt, dass das Finanzgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, weil die Richter nicht zur Mitwirkung bestimmt gewesen wären oder sie die gebotene Neutralität und Unabhängigkeit hätten vermissen lassen. Vielmehr sei Gegenstand der Beanstandung, dass während der Videoverhandlung nur eine Kamera ohne steuerbare Zoomfunktion zum Einsatz gekommen sei und daher nicht die Möglichkeit bestanden habe, die über die Vollzähligkeit hinausgehende mentale Anwesenheit und Unvoreingenommenheit der Richterbank zu überprüfen.

Im Ergebnis, so das BVerfG, werde daher gerügt, dass ein etwaiger Befangenheitsgrund für die Beschwerdeführer möglicherweise nicht erkennbar gewesen wäre.

Dies sei aber nicht ausreichend, um das Vorliegen eines bösen Scheins oder eines Verdachts der Befangenheit, die zu einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter führen könnten, zu schließen. Nur die unrichtige Besetzung, nicht aber die fehlende Möglichkeit von deren (rechtzeitiger) Überprüfung begründe eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Nur ein tatsächlich befangener Richter führe zur fehlerhaften Besetzung des Gerichts, nicht aber der fehlende Nahblick und die damit verbundene Unsicherheit, ob Verhalten, Gestik oder Mimik für die Befangenheit sprechen könnten. Der Schutz des Art. 101 I 2 GG könne nicht in den Bereich bloß möglicher Verletzungen vorverlagert werden.

Möglicherweise könne die fehlende Überprüfungsmöglichkeit der Unvoreingenommenheit der Richterbank das Recht auf ein faires Verfahren verletzen; diesen Verstoß hätten aber die Beschwerdeführer der Verfassungsbeschwerde von vornherein nicht gerügt. Ausgehend vom Vortrag der Beschwerdeführer sei aber auch dieser Verstoß im zu entscheidenden Fall ausgeschlossen.

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