Fortführungsfähige Praxis als Voraussetzung für das Nachbesetzungsverfahren
von Lieb Rechtsanwälte
Die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes zur Nachbesetzung setzt voraus, dass es noch eine Praxis gibt. Das gilt auch dann, wenn die Zulassung vor dem Ausschreibungsantrag durch Beschluss des Zulassungsausschusses geruht hat.
LSG Hessen, Urteil vom 26.08.2009 – L 4 KA 38/08
In dem vom Landessozialgericht Hessen entschiedenen Fall hatte eine zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Psychotherapeutin längere Zeit krankheitsbedingt keine Patienten mehr behandelt. Infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten war es zur Zwangsräumung der Praxisräume gekommen. Der Zulassungsausschuss/Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung hatte auf entsprechenden Antrag das Ruhen der Zulassung festgestellt. Zuletzt beantragte die Psychotherapeutin die Ausschreibung des Psychotherapeutensitzes gemäß § 103 Abs. 4 SGB V. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben. Das Landessozialgericht Hessen stellte, nachdem die Psychotherapeutin vor dem Sozialgericht Marburg mit ihrem Begehren Erfolg hatte, fest, dass kein Anspruch auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V besteht.
Aus den Gründen:
Ziel der Ausschreibung und Nachbesetzung, so das LSG, ist die Fortführung der Praxis. Deshalb können Ausschreibung und Nachbesetzung nur solange erfolgen, wie ein Praxissubstrat noch vorhanden ist (BSG, Urteil vom 28.11.2007 – B 6 KA 26/07 R, GesR 2008, 304). Eine Praxis könne im Sinne des § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift im nennenswerten Umfang noch vertragsärztlich tätig gewesen sei. Das setze den Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer Hinsicht voraus. Fehle es an alldem, werde eine ärztliche Praxis nicht betrieben (BSG, Urteil vom 29.09.1999 – B 6 KA 1/99 R, zitiert nach juris Rz. 40).
Das Landessozialgericht stellte sodann fest, dass auch in den Fällen des Ruhens der Zulassung an dem Erfordernis der fortführungsfähigen Praxis festzuhalten sei. Würde man in den Fällen des Ruhens der Zulassung die Ausschreibung zulassen, obwohl eine fortführungsfähige Praxis nicht mehr – auch nicht teilweise – bestehe, würde dies letztlich auf einen nicht zulässigen isolierten Zulassungskauf abzielen. Weil § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V allein dem Schutz der Verwertungsmöglichkeit der Praxis im zulassungsgesperrten Bereich als Ausschluss des sich aus Art. 14 GG ergebenden Eigentumsschutzes diene, komme es nur auf die tatsächliche Existenz einer fortführungsfähigen Praxis als verwertbares Wirtschaftsgut an, nicht jedoch darauf, ob und aus welchen Gründen die Fortführungsfähigkeit weggefallen sei. Dies gelte auch, wenn die Zulassung wegen einer schweren Erkrankung über längere Zeit geruht habe. Eine erweiternde Auslegung von § 103 Abs. 4 SGB V sei wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift nicht möglich.
Anmerkung:
Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, dass ein Ruhezeitraum von bis zu sechs Monaten unschädlich für den Bestand einer Praxis angesehen werden kann. Das Risiko einer Abwanderung des Patientenstammes und des damit einhergehenden Stillstandes der Praxis sollte der Praxisinhaber vermeiden.
Quelle: GesR 2010/151