EuGH: Auch indirekt hochsensible Daten sind verstärkt schützenswert

von Joachim Borger | Lieb.Rechtsanwälte

Der EuGH beschäftigt sich mit Urteil vom 01.08.2022, Az. C-184/20, u.a. mit der Frage, wie weit der Kreis besonders sensibler und daher besonders schützenswerter Daten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO reicht. Die Antwort könnte weitreichende Folgen haben.

Gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO gelten verschärfte Voraussetzungen für die Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten. Darunter fallen besonders sensible und höchstpersönliche Umstände wie z.B. die sexuelle Orientierung, der Gesundheitszustand und die politische Ausrichtung. Solche besonderen Kategorien von personenbezogenen Daten dürfen nur unter erschwerten Bedingungen verarbeitet werden. In vielen Fällen ist dies nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung des Betroffenen möglich.

In dem Fall, der der Entscheidung des EuGH zugrunde liegt, sah ein litauisches Gesetz vor, dass Daten von litauischen Verwaltungsbeamten zum Zwecke der Korruptionsbekämpfung im Internet veröffentlicht werden. Dazu gehören u.a. Name, berufliche Position und durchgeführte Transaktionen nicht nur des Beamten selbst, sondern auch seines Lebensgefährten oder Ehegatten.

Der EuGH erkennt in der Veröffentlichung auch von Daten des Partners eine Offenbarung der sexuellen Orientierung und hält daher die verschärften Vorgaben des Art. 9 DSGVO für diese indirekten Angaben über besonders sensible personenbezogene Daten des jeweiligen Verwaltungsbeamten für anwendbar. In seiner Urteilsbegründung führt der EuGH dazu aus:

„Folglich können diese Bestimmungen nicht dahin ausgelegt werden, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die indirekt sensible Informationen über eine natürliche Person offenbaren können, von der in diesen Bestimmungen vorgesehenen verstärkten Schutzregelung ausgenommen ist, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Regelung und der von ihr bezweckte Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen beeinträchtigt würden.

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46 und Art. 9 Abs. 1 der DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten, die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, auf der Website der Behörde, die für die Entgegennahme und die inhaltliche Kontrolle von Erklärungen über private Interessen zuständig ist, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.“

Dadurch dürfte der Anwendungsbereich des Art. 9 DSGVO gegenüber bisher verbreiteten Vorstellungen drastisch erweitert werden. Wie in der Praxis und in der folgenden Rechtsprechung damit umgegangen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

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