BGH zu Lebensversicherungen - die Grenzen des "ewigen Widerspruchsrechts"

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von RAin Natalie Freiin von Beust

Grundsätzlich sieht das deutsche Zivilrecht unterschiedliche, in der Regel fristgebundene Gestaltungsrechte vor, um nachträglich Verträge zu beenden und rückabzuwickeln. Zur wirksamen Ausübung dieser Gestaltungsrechte müssen Verbraucher gesetzeskonform über die Beendigungsmöglichkeiten und die hierbei geltenden Fristen belehrt werden.

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit mehrfach die Frage klären müssen, welche Folge die fehlerhafte oder ungenügende Belehrung für die Ausübung des Gestaltungsrecht hat. Im Bereich des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2013 entschieden, dass § 5a des VVG in seiner damaligen Fassung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Diese Regelung sah vor, dass ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über dieses Recht zum Rücktritt belehrt worden ist. Aus dieser Rechtsprechung des EuGH folgte also das "ewige Widerspruchsrecht" für Kunden, die nicht ordnungsgemäß über ihre Rechte aufgeklärt worden sind.

Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) auch in dem Urteil vom 19.07.2023, Az. IV ZR 268/21, beschäftigt. In dem Fall ging es um eine im Jahr 1999 abgeschlossene Lebensversicherung, die die betroffene Frau 2018 durch Widerspruch beenden wollte. Mit Abschluss der Lebensversicherung hatte die vertraglich verpflichtete Frau alle Rechte aus dem Vertrag als Sicherheit für ein Baudarlehen an eine Bank abgetreten. Über ihr Widerspruchsrecht war die Frau im Jahr 1999 nicht ordnungsgemäß belehrt worden; im Jahr 2018 widersprach sie dem Abschluss der Lebensversicherung dann und klagte nach Widerstand des Versicherers die Rückzahlung der bereits geleisteten Beträge nebst Herausgabe von Nutzungen abzüglich Risikokosten in Höhe von knapp 114.000 € ein.

Hierzu urteilte der BGH, dass zwar die Belehrung über das Widerspruchsrecht fehlerhaft gewesen sei, die Person jedoch treuwidrig gehandelt habe, weshalb ihr das Widerspruchsrecht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu versagen sei.  Die Treuwidrigkeit begründete der BGH damit, dass die Versicherung aufgrund der Motivlage des Vertragsabschlusses und des Verhaltens der Frau nach Vertragsabschluss auf den unbedingten Bestand des Vertrages vertrauen durfte. Bei Vertragsabschluss hatte die Frau den Eindruck erweckt, den Vertag unbedingt fortsetzen zu wollen, da sie im Versicherungsantrag angegeben hatte, Anlass für den Vertragsabschluss sei der Erwerb einer selbst genutzten Immobilie. Zeitgleich übersandte sie dem Versicherer eine Abtretungserklärung, aus der sich ergab, dass das Baufinanzierungsdarlehen aus der beantragten Lebensversicherung zurückgezahlt werden sollte und deshalb alle gegenwärtigen und künftigen Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag an die Bank abgetreten wurden. Nachdem die Abtretung zur Tilgung des Baufinanzierungsdarlehens erfolgt ist und auch die Leistung im Todesfall umfasste, hat die Abtretung laut BGH nur bei Bestehen eines wirksamen Lebensversicherungsvertrages ihren Zweck erfüllt. Diese Tatsache verbunden mit dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung begründeten nach BGH Rechtsprechung bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten und wirksamen Bestand des Vertrages. Diese vertrauensbegründende Wirkung sei insbesondere auch für die Frau erkennbar gewesen. Eine Vorlage an den EuGH sei nicht geboten, da der betroffenen Person im vorliegenden Fall die Berufung auf die angebliche Unwirksamkeit des jahrelang durchgeführten Vertrages wegen fehlerhafter Widerspruchsbelehrung nach Trau und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt wird. Auch bei einer nur geringfügig fehlerhaften oder fehlenden Widerspruchsbelehrung steht die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens und damit die Versagung des Widerspruchsrechts im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Durch die Versagung eines ewigen Widerspruchsrechts aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben und Vorliegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens wird laut BGH weder die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts noch Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts beeinträchtigt.

Zurück