BAG: Ende der Vertrauensarbeitszeit

von Lieb Redaktion

Ein Beitrag von Ass. iur. Marie Heinz

Bereits mit unserem Beitrag vom 18.09.2022 berichteten wir über die Pressemitteilung zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21), in welchem das BAG entschieden hat, dass Arbeitgeber aufgrund unionsrechtkonformer Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst und aufgezeichnet werden kann. Mittlerweile sind die ersehnten Leitsätze zu den Entscheidungsgründen des BAG veröffentlicht worden.

Die vorangestellten Leitsätze der Entscheidung des BAG lauten:

  1. Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (juris: EGRL 88/2003) eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. b dieser Richtlinie abweichende Regelung getroffen hat.

  2. Dem Betriebsrat steht kein – über einen Einigungsstellenspruch durchsetzbares – Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer erfasst werden soll.

Die Entscheidungsgründe des BAG lauten im Folgenden:
Trotz des vom Gerichtshof verwendeten Begriffs der „Messung“ darf sich das geforderte System nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) lediglich zu „erheben“. Vielmehr müssen diese Daten ebenfalls erfasst und somit auch aufgezeichnet werden. Ansonsten wären weder die Lage der täglichen Arbeitszeit noch die Einhaltung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten innerhalb des Bezugszeitraums überprüfbar (EuGH 14.05.2019 – C-55/18 – [CCOO]). Eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden wäre ebenfalls sonst nicht gewährleistet. Zudem beschränkt sich die Pflicht zur Einführung nicht darauf, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt. Er muss nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch tatsächlich Gebrauch machen und es auch verwenden. Dabei bezieht sich die aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebende Verpflichtung auch auf alle in ihrem Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Jedoch sind (zumindest aktuell) Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten, von denen der Gesetzgeber auf Grundlage von Art. 17 Abs. 1 RL 2003/88/EG Gebrauch machen könnte, nicht gegeben. Somit sind Ausnahmeregelungen derzeit nur für Organe und leitende Angestellte möglich. Zudem lässt sich auch aus § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG, welcher nur eine in seinem Umfang begrenzte Aufzeichnungspflicht für Arbeitszeiten vorsieht, keine gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeber entnehmen, die gesamten Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten im Betrieb zu erfassen.

Wegen des Gesetzesvorbehalts in § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat hinsichtlich der Einführung („ob“) einer Arbeitszeiterfassung kein Initiativrecht. Jedoch ergibt sich das Initiativrecht des Betriebsrates für die Ausgestaltung des im Betrieb zu verwendenden Systems zur Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Allerdings ist dieses Initiativrecht nicht auf eine Zeiterfassung in elektronischer Form beschränkbar.

Was bedeutet dies für den Arbeitgeber?
Das BAG hat erfreulicherweise deutlich bestätigt, dass die Arbeitszeiterfassung auch in Papierform vorgenommen und an die Arbeitnehmer delegiert werden kann. Auch ist weiterhin das Arbeiten auf Vertrauensbasis möglich, denn das BAG hat mit der Entscheidung keine Aussagen über das Ende des flexiblen Arbeitens auf Vertrauensbasis getroffen. Es kommt lediglich nunmehr die Dokumentationspflicht hinzu.

Fazit
Der Arbeitgeber hat ein entsprechendes Zeiterfassungssystem einzuführen. Falls ein Betriebsrat im Unternehmen vorhanden sein soll, so hat dieser bei der Ausgestaltung des Systems ein Mitbestimmungsrecht.

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