Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes: Bindung an eine zivilprozessuale einstweilige Verfügung.

von Lieb Rechtsanwälte

Das Bundessozialgericht hatte sich in seinem Beschluss vom 03.08.2016 – B 6 KA 10/16 B – mit der Frage zu befassen, ob der von den Zulassungsgremien der Kassenärztlichen Vereinigungen zu beachtende Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X durch eine aus dem zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsrecht stammende gesetzliche Fiktion durchbrochen wird, wenn diese Fiktion das Ergebnis eines summarischen Eilverfahrens ist. Er verneinte die Frage.

In dem Streitfall wandte sich der Kläger gegen die Zulassung eines Facharztes für Radiologie zur vertragsärztlichen Versorgung. Er ist Facharzt für Radiologie und übte seine Tätigkeit mit weiteren Ärzten für Radiologie aus. In dem mit den weiteren Ärzten geschlossenen Gesellschaftsvertrag hatte er sich verpflichtet, im Falle seines Ausscheidens aus der Gesellschaft, seinen Vertragsarztsitz zugunsten der Gesellschaft ausschreiben zu lassen. Für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag wurde die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart. Im Zuge des Ausscheidens des Klägers verpflichtete sich dieser zusätzlich, seine vertragsärztliche Zulassung zugunsten der Berufsausübungsgemeinschaft zur Ausübung zu bringen und diese auf einen von den verbleibenden Gesellschaftern zu benennenden Nachfolger zu übertragen. Die zunächst beantragte Ausschreibung zog er wieder zurück und übte seine vertragsärztliche Tätigkeit zunächst nicht mehr aus. Der Zulassungsausschuss brachte hierauf die Zulassung von Amts wegen zum Ruhen. Die verbleibenden Gesellschafter erwirkten sodann eine einstweilige Verfügung des Landgerichts. In dieser wurde der Kläger verpflichtet, den Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes erneut zu stellen sowie den Verzicht auf seine vertragsärztliche Zulassung zugunsten der verbliebenen Gesellschafter nach deren Weisung gegenüber dem Zulassungsausschuss zu erklären. Die einstweilige Verfügung wurde mit dem Urteil des Landgerichts bestätigt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers wies das Oberlandesgericht zurück. Der Berufungsausschuss stellte sodann auf Antrag der Berufsausübungsgemeinschaft (verbliebene Gesellschafter) das Ende der Zulassung des Klägers fest und erteilte dem beigeladenen Facharzt die Zulassung als Nachfolger des Klägers. Die Zulassung des Klägers, der sich auf seine eigene Nachfolge beworben hatte, wurde abgelehnt. Gegen den die Zulassung des beigeladenen Facharztes betreffenden Beschluss erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht. Das Sozialgericht wies die Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Kläger habe wirksam auf seine Zulassung verzichtet. Das Landessozialgericht wies die dagegen gerichtete Berufung zurück. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Diese hatte keinen Erfolg.

Das Bundessozialgericht führte u. a. aus: Soweit der Kläger zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Auffassung vertrete, dass die Zulassungsgremien Entscheidungen der Zivilgerichte inhaltlich zu überprüfen hätten, weil die im Zivilprozess geltende Verhandlungs- und Beibringungsmaxime sowie die aus dem Zivilprozess stammende Fiktion des § 894 ZPO im Gegensatz zu dem Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X stünden, treffe dies ersichtlich nicht zu. Die Bindungswirkung von Entscheidungen der Zivilgerichte werde nicht durch den im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz in Frage gestellt. Soweit es – wie hier – auf die Frage ankomme, ob der Verzicht auf die Zulassung erklärt wurde, habe das für das Verwaltungsverfahren geltende Amtsermittlungsprinzip nach § 20 SGB X allein für die Frage Bedeutung, ob eine solche Erklärung tatsächlich abgegeben wurde oder – wenn der Kläger zu deren Abgabe verurteilt worden ist –, ob die Voraussetzungen des § 894 ZPO gegeben seien. Dazu hätten die Zulassungsgremien jedoch nicht die materielle Richtigkeit rechtskräftiger Entscheidungen der Zivilgerichte zu prüfen. Zu prüfen hätten die Zulassungsgremien allein, ob tatsächlich ein rechtskräftiges Urteil im Sinne des § 894 ZPO vorliege, das nach § 894 ZPO die dort geregelte Wirkung auslöse.

Auch einstweilige Verfügungen seien nach herrschender Meinung grundsätzlich der Rechtskraft fähig und gemäß § 929 Abs. 1, § 936 ZPO mit Erlass des Beschlusses oder Verkündung des Urteils sofort vollstreckbar, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedürfe. Deshalb könne die Wirksamkeit der einstweiligen Anordnung nicht davon abhängen, ob die Entscheidung möglicherweise fehlerhaft sei. Einer Behörde könne unter diesen Umständen nicht das Recht zugestanden oder eine Verpflichtung auferlegt werden, Fehler der nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen Entscheidung eigenständig zu überprüfen. Andernfalls würde die gerichtliche Entscheidung jede Bindungswirkung verlieren.

 

Praxishinweis:

Im Wege der einstweiligen Verfügung kann im Regelfall nicht die Verpflichtung zur Abgabe einer endgültige Verhältnisse herbeiführenden Willenserklärung ausgesprochen werden. Dies käme einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache gleich. Eine Ausnahme wird dann für zulässig erklärt, wenn der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung eines Anspruchs dringend angewiesen ist und die Zurückweisung der einstweiligen Verfügung einer endgültigen Rechtsverweigerung gleich käme. Im vorliegenden Fall sah das Landgericht den drohenden endgültigen Rechtsverlust als gegeben an und verpflichtete den Arzt unter Vorwegnahme der Hauptsache gegenüber der KV die Ausschreibung des Praxissitzes zu beantragen sowie den Verzicht auf seine Zulassung zu erklären.

 

Quelle: GesR 185-187/2017

 

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