Aufklärung des medizinischen Sachverhalts im Arzthaftungsprozess durch Gutachten

von Lieb Rechtsanwälte

Leitsatz: Im Arzthaftungsprozess hat das Gericht zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts in der Regel einen Sachverständigen einzuschalten. Ein gerichtliches Sachverständigengutachten muss der Tatrichter jedenfalls dann einholen, wenn ein im Wege des Urkundenbeweises verwertetes Gutachten (hier: aus einem vorangegangenen Verfahren einer ärztlichen Schlichtungsstelle) nicht alle Fragen beantwortet. (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 06.05.2008, Az.: VI ZR 250/07).

Im Arzthaftungsprozess hat das Gericht, so der BGH in dem zitierten Beschluss, zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts in der Regel einen Sachverständigen einzuschalten. Dabei kann gemäß § 411a ZPO eine schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Das schließt allerdings nicht aus, dass ein außerhalb des Rechtsstreits, etwa in einem anderen Verfahren erstattetes Gutachten, grundsätzlich auch im Arzthaftungsprozess im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies im Grundsatz auch für medizinische Gutachten aus vorangegangenen Verfahren ärztlicher Schlichtungsstellen. Der Tatrichter muss aber ein gerichtliches Sachverständigengutachten jedenfalls dann einholen, wenn ein im Wege des Urkundenbeweises verwertetes Gutachten nicht alle Fragen beantwortet.

Fall: In dem dem Beschluss zugrunde liegenden Verfahren hatte es das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft versäumt, dem von der Klägerin durch Vorlage der ärztlichen Stellungnahme des Orthopäden Dr. G. untermauerten Vortrag nachzugehen, wonach eine sofortige Operation indiziert gewesen sei. In dem Schlichtungsgutachten hatte sich der Schlichtungsgutachter nicht mit dem Vorbringen auseinandergesetzt, wonach eine sofortige Operation indiziert gewesen sei und das anfängliche Fehlen der für eine konservative Behandlung erforderlichen ärztlich verordneten Schiene zu dem gesundheitlichen Schadenbeigetragen habe. Der Schlichtungsgutachter hatte unter Auswertung der Behandlungsunterlagen keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die bei der Klägerin eingetretene Stufenbildung der Frakturstücke in der linken Kniescheibe auf eine nicht ausreichende Stabilisierung des Kniegelenks zurückzuführen sei.

Tipp: Zur Vermeidung von Nachteilen hat sich der Arzt auch mit für ihn nachteiligen Feststellungen in einem vorgerichtlich eingeholten Gutachten kritisch auseinanderzusetzen. Auf das gerichtlich anzuordnende  Gutachten zu vertrauen birgt trotz der Rechtsprechung des BGH angesichts der Möglichkeit des Urkundenbeweises ein Risiko.

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