Arzthaftungsrecht: Arzt muss auf mögliche Folgen der Nichtbehandlung hinweisen/ keine Dokumentationspflicht

von Lieb Rechtsanwälte

Die mangelnde Mitwirkung des Patienten an einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist.

BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 157/08

Entscheidung:

Im Streitfall war der Patient wegen eines Hypophysentumors operiert worden. Danach baute er körperlich ab. Untersuchungen ergaben bezüglich der Operation einen normalen Befund. Der Krankenhausarzt riet zu einer erneuten stationären Aufnahme und ordnete Infusionen an. Der Patient lehnte dies ab, kehrte aber am Folgetag als Notfall zurück. Auf der Intensivstation wurde ein Schlaganfall diagnostiziert. Gutachterlicherseits wurde der Schlaganfall auf Dehydration zurückgeführt.

Der Kläger klagte auf Schadensersatz. Er unterlag vor dem Landgericht und Oberlandesgericht. Die Revision zum BGH hatte Erfolg. Der BGH meinte, die Ärzte hätten deutlich auf die Gefahren einer Dehydration hinweisen und den Patienten zumindest auffordern müssen, ggf. sofort wieder die Klinik oder den Hausarzt aufzusuchen. Sei ein solcher Hinweis unterblieben, könne ein grober Behandlungsfehler vorliegen. Der BGH wies die Sache an das Oberlandesgericht zurück, damit dort die erforderlichen Feststellungen nachgeholt werden können.

Nach dieser Entscheidung des BGH kann dem Patienten die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen oder Empfehlungen mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien nur dann als Obliegenheitsverletzung oder Mitverschulden angelastet werden, wenn er diese Anweisungen oder Empfehlungen auch verstanden hat.

Eine mangelnde Aufklärung über die Erforderlichkeit einer weiteren Behandlung führe, so der BGH, nicht ohne weiteres zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, wenn dessen mangelnde Mitwirkung auf dem Aufklärungsfehler beruhe. Der Umstand, dass die vom Arzt geschuldete therapeutische Beratung zu den selbstverständlichen ärztlichen Behandlungspflichten gehört, rechtfertigt es für sich allein nicht, der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Verletzung dieser Pflicht für die eingetretene Gesundheitsschädigung nicht ursächlich geworden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung ist eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und einem eingetretenen Gesundheitsschaden nur dann gerechtfertigt, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die Umkehr der Beweislast stellt keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden dar, sondern knüpft daran, dass wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers die Aufklärung des Behandlungsgeschehens in besonderer Weise erschwert sein kann. Diese Voraussetzung ist bei einer fehlerhaften therapeutischen Aufklärung nicht von vornherein zu bejahen, sondern hängt auch hier vom jeweiligen Einzelfall ab. Deshalb trägt der Patient – wie bei jedem anderen Behandlungsfehler auch – grundsätzlich die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterlassenen Behandlung und dem Gesundheitsschaden.

Quelle: GesR 8/2009, S. 442 f.

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