Arbeitsgericht Nürnberg: ordentliche verhaltensbedingte Kündigung bei vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit und gleichzeitiger Arbeitsaufnahme bei anderem Arbeitgeber

von Lieb Rechtsanwälte

Ein Beitrag von Dipl.-Jur. (Univ.) Salvina Strobel

Grundsätzlich kann ein Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung wirksam beendet werden, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich vortäuscht und gleichzeitig bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet. Ein solches Verhalten stellt einen erheblichen Vertrauensbruch dar, den der Arbeitgeber nicht hinnehmen muss. In einem solchen Fall wurde die Kündigung als rechtmäßig erachtet, ohne dass zuvor eine Abmahnung erforderlich war.

Im vorliegend vom Arbeitsgericht Nürnberg (Az.: 12 Ca 1354/22, Urteil vom 20.09.2023) entschiedenen Fall legte der Arbeitnehmer, bei einem kunststoffverarbeitenden Unternehmen als „gewerblicher“ Arbeitnehmer tätig, ein ärztliches Attest vor, welches seine Arbeitsunfähigkeit für den streitgegenständlichen Tag bestätigte. Gleichzeitig verrichtete der Arbeitnehmer jedoch bei einem anderen Arbeitgeber (Fitnessstudio, als Trainer) eine Arbeit, die in Art, Umfang und Inhalt mit seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung vergleichbar war.

Ein ärztliches Attest hat grundsätzlich einen hohen Beweiswert, da es nach den gesetzlichen Vorgaben den primären Nachweis für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit darstellt. Insofern stützt das Attest grundsätzlich die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit und verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer während der Krankheitsdauer unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeit freizustellen.

Im Rahmen des Beweisrechts obliegt es jeder Partei, die für sie günstigen Tatsachen zu beweisen. Demnach war es an der Beklagten, den Beweiswert des Attests zu erschüttern und Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu begründen. Das Attest kann durchaus erschüttert werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Arbeitnehmer trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit anderweitig gearbeitet hat, was in diesem Fall durch die Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber belegt wurde.

Das Gericht hielt die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung des Arbeitgebers als sozial gerechtfertigt und begründete seine Entscheidung damit, dass das Arbeitsverhältnis auf einem hohen Maß an Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruht. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere in Verbindung mit der gleichzeitigen Ausübung einer Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber, stellt einen erheblichen Vertrauensbruch dar, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis seiner arbeitsvertraglichen Pflichten eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vortäuscht. Die Entscheidung stützt sich auf den sogenannten Prognosegrundsatz, der besagt, dass eine Kündigung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Parteien nicht mehr zu erwarten ist. Dabei wurde betont, dass die Kündigung keine Strafe oder Sanktion darstellen soll, sondern eine notwendige Maßnahme aufgrund des unrechtmäßigen Verhaltens des Arbeitnehmers darstellt.

Im vorliegenden Fall schätzte das Gericht das Verhalten des Arbeitnehmers als so schwerwiegend eingeschätzt, dass der Arbeitgeber nicht mehr davon ausgehen konnte, das Arbeitsverhältnis auf einer vertrauensvollen Basis fortzuführen. Dies begründete einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG.

In der Regel ist vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung eine Abmahnung erforderlich, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu ändern. Im vorliegenden Fall hielt das Gericht jedoch eine Abmahnung für entbehrlich. Der schwerwiegende Vertrauensbruch, der durch das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit und das gleichzeitige Arbeiten bei einem anderen Arbeitgeber begangen wurde, rechtfertigte eine sofortige Kündigung, ohne dass der Arbeitgeber zuvor eine Abmahnung aussprechen musste. Zudem war der Arbeitnehmer in der Lage, die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen, sodass er nicht auf eine Abmahnung angewiesen war, um auf sein Fehlverhalten hingewiesen zu werden.

 

Fazit

Ein schwerwiegender Vertrauensbruch seitens des Arbeitnehmers, wie das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit und die gleichzeitige Arbeitsaufnahme bei einem anderen Arbeitgeber trotz bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, kann die Grundlage für eine verhaltensbedingte ordentliche Kündigung bilden. Ein solches Verhalten stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so nachhaltig stört, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist. Eine Abmahnung kann in einem solchen Fall entbehrlich sein.

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