Rechtliches Gehör im Arzthaftungsprozess, Anhörung der Sachverständigen

von Lieb Rechtsanwälte

Rechtliches Gehör im Arzthaftungsprozess, Anhörung der Sachverständigen

Der verfassungsrechtliche Grundsatz auf rechtliches Gehör wird im Arzthaftungsprozess jedenfalls dann verletzt, wenn eine Tatsacheninstanz den Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint (BverfG, Beschluss vom 17.01.2012, Az. 1 BwR 2728/10; OLG Rostock, Az. 5 U 219/09).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BverfG, Beschluss vom 03.02.1998, Az. 1 BwR 909/94, NJW 1998, 2273). Nach § 402 ZPO i.V.m. § 395 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der BGH hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen. Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, kommt es nicht an. Es gehört zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können. Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde. Hat das Erstgericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, muss das Berufungsgericht dem in II. Instanz wiederholten Antrag stattgeben.

Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, liegt darin dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht, oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrages.

Da alle Vorinstanzen den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen allein deshalb ablehnten, weil das Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar gewesen sei, und aus Sicht des BverfG nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es dem Beschwerdeführer in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Sachverständigengutachten in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung der Gerichte von dessen Richtigkeit zu erschüttern, war das Urteil des Landgerichts und der die Berufung zurückweisende Beschluss des OLG aufzuheben. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen.

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