Positive Fortbestehensprognose bei Überschuldung von Start – up Unternehmen (zu § 19 II 1 InsO a.F.)
von Lieb Rechtsanwälte
Ein Beitrag von RAin Nicola Kastner-Hippel
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 20.07.2021 – 12 W 7/21) hatte über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Insolvenzverwalter eines Start – up Unternehmens zu entscheiden, in dessen Jahresabschluss 2015 (Jahr vor Insolvenzantrag und -eröffnung) ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag i.H. von 620.200.-€ festgestellt worden war. Die Darlehen des Investors (für den der Gesellschafter – Geschäftsführer treuhänderisch einen Teil der Geschäftsanteile hielt), über die sich das Start – up im Wesentlichen finanzierte(ausgereicht Ende 2015 i.H. von 608.000.-€), waren zum 31.12.2017 befristet und dann zurückzuzahlen. Nach Auffassung des Insolvenzverwalters war das Unternehmen überschuldet mangels qualifizierten Rangrücktritts der Darlehen des Investors; er nahm den ehemaligen Gesellschafter - Geschäftsführer wegen masseschmälernder Zahlungen in Anspruch.
Das OLG hat den Antrag im Beschwerdeverfahren zurückgewiesen. Für den Fall, dass sich eine rechnerische Überschuldung der Gesellschaft ergebe, müsse, so das OLG, in einer zweiten Stufe eine Fortführungsprognose getroffen werden.
Der Geschäftsführer (Antragsgegner) hatte eingewandt, dass dem Investor in regelmäßigen Abständen Planungen vorgelegt worden seien. Nach den Planungen hätten erstmals im Juli 2016 Überschüsse erwirtschaftet werden sollen. Den aus den Planungen ersichtlichen Finanzbedarf habe er jeweils detailliert mit dem Investor besprochen; die Ausgaben seien mit ihm abgestimmt worden und die notwendigen Mittel jeweils als Darlehen zur Verfügung gestellt. Verbindlichkeiten seien erst begründet worden, wenn ein verbindlicher Darlehensvertrag mit dem Investor vorgelegen habe.
Das OLG führt zur Begründung aus, dass bei einem Start – up Unternehmen, das in der Anlaufphase in der Regel nur Schulden produziere, eine ständige, intensive Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens in besonderem Maß erforderlich sei.
Start – up Unternehmen seien in einer - mehr oder weniger langen – Anlaufphase meist nicht ertragsfähig, aber in derartigen Fällen seien operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. Der BGH sehe in Fällen von Start – ups die Ertragskraft (Selbstfinanzierungsfähigkeit) nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an. Es liege in der Natur eines solchen Unternehmens, so das OLG, dass es zunächst nur Schulden mache und von Darlehen abhängig sei. In diesen Fällen müsse daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden. Die notwendigen Mittel könnten auch von Dritten kurz,- mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden. Die Fortführungsfähigkeit müsse überwiegend (zu mehr als 50%) wahrscheinlich sein. Maßgeblich sei, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sei, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken.
Auf Grund der Zusage des ehemaligen Gesellschafters, den Liquiditätsbedarf der Schuldnerin entsprechend deren Planungen zu decken, solange dies realistisch erscheine, habe der Geschäftsführer von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen können. Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge sei, so das Gericht, für die Fortbestehensprognose nicht erforderlich.