Off-Label-Use

von Lieb Rechtsanwälte

Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom Bundesverfassungsgericht beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.

BSG, Urteil vom 13.10.2010 – B6 KA 48/09R (GesR 308/2011)

In dem vom BSG entschiedenen Fall setzte ein Arzt für Onkologie das Arzneimittel Megestat ein, indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet. Zwar waren die Verordnungen des Arztes auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie, insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.

 Aus den Gründen:

Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use ‑ zum einen – eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (d. h. eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung) und es darf ‑ zum anderen – keine andere zugelassene Therapie verfügbar sein, und – zum dritten – aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so z. B. BSG Vom 28.02.2008 – B1 KR 15/07R, es folgen weitere Rechtsprechungshinweise). Abzustellen dabei ist auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG, Urteil vom 28.02.2008, wie vor). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unerträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.08.1976 ausgerichtet ist. Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen. Die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2009 – B1 KR 1/09R, es folgen weitere Rechtsprechungshinweise).

Besagter Arzt erfüllte alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen nicht.

Praxishinweis:

In dem zu entscheidenden Fall hatte der Onkologe den gegen ihn ergangenen Arzneikostenregress angefochten. Das Risiko des Regresses wäre zu vermeiden gewesen, wenn der Arzt für den Versicherten ein Privatrezept ausgestellt und es dem Patienten überlassen hätte, sich bei seiner Krankenkasse um Erstattung der Kosten zu bemühen. Es wäre dann Sache der Krankenkasse gewesen, vorab die Leistungspflicht zu prüfen.

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