Miete zahlen trotz Lockdown

von Joachim Borger | Lieb.Rechtsanwälte

Seit mittlerweile einem Jahr müssen sich deutsche Unternehmer immer wieder mit dem Phänomen staatlich angeordneter Ladenschließungen auseinandersetzen. Jeder Lockdown bringt immense Probleme mit sich. Die Frage, ob Geschäftsinhaber Miete bezahlen müssen für ihre teuren und sonst so wertvollen Ladenflächen, hat sich innerhalb kürzester Zeit zum Dauerbrenner entwickelt. Auch und gerade die Gerichte stehen vor der Aufgabe, Antworten auf diese Frage zu finden. Aus den mittlerweile zahlreichen erstinstanzlichen Entscheidungen ergibt sich eine gewisse Tendenz, von einer einheitlichen Linie in der Rechtsprechung kann allerdings (noch) nicht gesprochen werden. Wir berichteten. Immerhin sind Fortschritte zu verzeichnen. Am 24.02.2021 sind gleich zwei Entscheidungen in zweiter Instanz verkündet worden, die durchaus unterschiedlich ausfallen.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.02.2021 – 7 U 109/20

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe bestätigt die Tendenz, die sich bislang in den erstinstanzlichen Entscheidungen zeigt. Das Gericht spricht dem Vermieter die Miete in voller Höhe zu. Eine Reduktion der Miete sei nur in Betracht zu ziehen, wenn die Pflicht zur Zahlung der vollen Miete den Mieter die Existenz kosten oder seine Existenz zumindest ernsthaft bedrohen würde. Selbst wenn die Existenz des Mieters tatsächlich auf dem Spiel stehen sollte, sei eine Reduktion der Miete nur dann vorzunehmen, wenn die berechtigten Interessen des Vermieters dies zulassen. Im Zweifel hat der Mieter also schlicht und ergreifend Pech gehabt. Er trägt das Risiko staatlicher Maßnahmen zugunsten der Allgemeinheit praktisch allein und hat nur in absoluten Härtefällen Chancen, die Kollateralschäden des Gesundheitsschutzes wenigstens mit dem Vermieter gemeinsam zu tragen.

OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/20

Das OLG Dresden kommt zu dem Ergebnis, dass weder der Vermieter noch der Mieter allein unter den Folgen der Zwangsschließung von Ladenflächen für Publikumsverkehr zu leiden haben sollten, da keiner von beiden diese missliche Lage verursacht und sie auch sonst nicht zu verantworten hat. Mit dieser Begründung spricht das OLG Dresden dem Vermieter die Hälfte der Miete zu. Auf diese Weise werde das Unglück auf die Schultern beider Parteien gleichermaßen verteilt. Mieter und Vermieter bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die die unabwendbaren Nachteile infolge der Pandemie gemeinsam tragen.

Fazit

Aller Voraussicht nach werden beide Entscheidungen mit der Revision angefochten und vom BGH überprüft werden. Bis dahin wird die Rechtspraxis mit der erheblichen Rechtsunsicherheit, die angesichts der unterschiedlichen Ansichten der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte besteht, leben müssen.

Der Verfasser hält den Ansatz des OLG Dresden für erfreulich. Das OLG Karlsruhe räumt dem allgemeinen Grundsatz, dass geschlossene Verträge grundsätzlich eingehalten werden müssen, höchste Priorität ein. Die Option der Vertragsanpassung über das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage ( § 313 BGB) wird als Maßnahme erkannt, die nur in absoluten Ausnahmefällen Anwendung finden soll. Diese Ansicht wird der Dogmatik des Gesetzes und dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsfreiheit gerecht. Das OLG Dresden weicht hiervon nicht grundlegend ab. Es würdigt darüber hinaus jedoch den Sachverhalt in überzeugender Art und Weise, wenn es die Tatsache der staatlich erzwungenen Ladenschließung als echten Ausnahmefall im Sinne der gesetzlichen Dogmatik einordnet. Bis vor einem Jahr waren Zwangsschließungen von Ladengeschäften für den größten Teil der Bevölkerung sicherlich kaum vorstellbar. Das gilt für Immobilieneigentümer gleichermaßen, auch wenn diese für die Finanzierung der Immobilie auf Mieteinnahmen angewiesen sein mögen. Die COVID-19-Pandemie ist die größte Krise in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert. Die Wirtschaft leidet darunter enorm.* Sie bringt langfristige Planungen plötzlich durcheinander. Dies betrifft nicht nur Immobilieneigentümer.

Wirtschaftliche Nachteile müssen so gut wie möglich auf verschiedene Schultern verteilt werden, damit jeder Einzelne die bestmöglichen Chancen hat, seine Existenz trotz der Krise zu sichern. Es wird sich nicht vollständig vermeiden lassen, dass manche härter von der Krise getroffen werden als andere. Die Rechtsprechung hat an dieser Stelle jedoch Gelegenheit, ihren Teil zur gemeinschaftlichen Bewältigung der Krise beizutragen, indem sie die Vermieter in die Pflicht nimmt, um ohnehin schon gebeutelte Unternhemen zu entlasten. Das OLG Dresden findet hierfür einen gesunden Kompromiss. Im Einzelfall muss die Quote nicht immer 50:50 ausfallen. Sofern die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abweichende Quoten rechtfertigen, ist eine individuelle Quote anzusetzen, um sachgerechte Ergebnisse im Einzelfall zu finden. Der Ansatz, beide Parteien mit der Zwangsschließung gleichermaßen zu belasten, ist als grundsätzliche Herangehensweise und erste Maßgabe zur Quotelung begrüßenswert.

 

*Anmerkung des Verfassers: Selbstverständlich leidet nicht nur die Wirtschaft enorm. Die gravierenden gesundheitlichen Folgen für alle mittelbar und unmittelbar Betroffenen der Pandemie, insbesondere für Erkrankte, für Personal des Gesundheitswesens und für Angehörige überragen in ihrer Bedeutung die wirtschaftlichen Folgen aus Sicht des Verfassers. Der vorliegende Beitrag ist inhaltlich auf die wirtschaftlichen Folgen beschränkt. Alle weiteren Wirkungen der COVID-19-Pandemie sind an anderen Stellen besser aufgehoben.

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