Keine halbe Zulassungsentziehung wegen Pflichtverletzung !

von Lieb Rechtsanwälte

Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss vom 17.10.2012 (B 6 KA 19/12) eine nur hälftige Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung bei gröblichen Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten als weder vorstellbar noch möglich ausgeschlossen.

Grundlage für den Zulassungsentzug ist der § 95 Abs. 6 S. 1 und 2 SGB V. Hiernach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Der Zulassungsausschuss kann in diesen Fällen statt einer vollständigen auch eine hälftige Entziehung der Zulassung beschließen.

Der BGH hatte über einen Fall zu entscheiden, in welchem einer Ärztin die Zulassung entzogen wurde, da sie mit Betrugsvorsatz über 15 Quartale gegen die bestehende Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen hatte. Es war ein Strafbefehl wegen Abrechnungsbetrugs ergangen. Wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die vertragsärztlichen Pflichten wurde die volle Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen. Die Ärztin sah es wiederum als rechtsfehlerhaft an, dass eine nur hälftige Entziehung der Zulassung gem. § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V als ausreichende Reaktion nicht geprüft wurde.

Das BSG teilte den Vorhalt der Klägerin nicht, sondern stellte klar, dass bei gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten eine nur hälftige Entziehung unter keinen denkbaren Umständen in Betracht kommt. Wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichen Maße verletzt werde und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört sei, sodass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden könne, sei eine Entziehung notwendig. § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V ist nach der Auslegung des BSG nur in dieser Konstellation anwendbar, wenn von vornherein nach § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V nur eine hälftige Zulassung vorliegt und nicht mehr als diese entzogen werden kann.

Die Ärztin hat sich hinsichtlich Ihrer Bedenken am Wortlaut des § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V orientiert, der im Hinblick auf die gröbliche Pflichtverletzung an sich keine Einschränkung in der vom BSG angenommenen Weise regelt. Fraglich ist auch, ob der Gesetzgeber selbst von dieser Auslegung ausgegangen ist oder hier nicht, wie von der betroffenen Ärztin angenommen wurde, bewusst ein Ermessen einräumen wollte, im Einzelfall statt der vollen Entziehung nur eine halbe Entziehung von der vollen Vertragsarzt-Zulassung vorzunehmen.

Fest steht zumindest, dass § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V eine Ermessensentscheidung („kann“ beschließen) offen hält. Es ist somit zu überprüfen, ob der vollständige Entzug der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im vorliegenden Fall der vorsätzlichen Pflichtverletzung ermessensfehlerhaft oder als Reaktion angemessen war. Im Fall des wiederholten und über einen längeren Zeitraum erfolgten Abrechnungsbetruges lässt sich eine nur hälftige Zulassungsentziehung, egal, ob diese grundsätzlich zulässig wäre, wohl kaum begründen. Das Vertrauen in eine peinlich genaue Abrechnung ist jedenfalls im vorliegend zu entscheiden gewesenen Fall offenbar nachhaltig zerstört worden.

Ob in den anderen Tatbestandsvarianten des § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V trotz Bestehens einer vollen Zulassung die Entziehung zur Hälfte denkbar ist, musste das BSG nicht entscheiden. Das Sozialgericht Marburg hat diese Entscheidung am 14.11.2012 (S 12 KA 879/11) bejaht. Auch hier wird es im Zweifel auf den konkreten Sachverhalt und eine hieran anknüpfende Ermessensentscheidung ankommen.

  

 

 

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