Keine Werbung für Online-Sprechstunden

von Joachim Borger | Lieb.Rechtsanwälte

Ärzte dürfen sogenannte Fernbehandlungen mittlerweile zwar anbieten, werben dürfen Sie dafür jedoch nur in Ausnahmefällen. Mit Urteil vom 09.12.2021, Az. I ZR 146/20 hat der I. Zivilsenat des BGH die Werbung für eine App für „digitale Arztbesuche“ für unzulässig erklärt. Mittels dieser App können Nutzer Leistungen von Ärzten, die in der Schweiz ansässig sind, ausschließlich durch Kommunikation über die App in Anspruch nehmen.

Gemäß § 9 HWG ist Werbung für Fernbehandlungen grundsätzlich nicht erlaubt. Als Fernbehandlung ist dabei jede Erkennung und Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden und krankhaften Beschwerden gemeint, wenn dies nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht. Das Werbeverbot gilt nur dann ausnahmsweise nicht, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Das bedeutet, dass für die Fernbehandlung nur dann geworben werden darf, wenn nach wissenschaftlichen Maßstäben darauf verzichtet werden kann, dass der Arzt den Patienten nicht nur sieht und hört, sondern ihn auch durch Abtasten, Abklopfen, Abhören oder auch durch Anwendung von Ultraschall und anderen technischen Hilfsmitteln untersuchen kann.

Der Ausnahmefall fehlender Erforderlichkeit ist erst nachträglich in das Gesetz eingefügt worden. Seine Relevanz für die Praxis scheint sich jedoch stark in Grenzen zu halten. Im entschiedenen Fall sieht der BGH einen solchen Fall fehlender Notwendigkeit des unmittelbar physischen Zusammentreffens zwischen Arzt und Patient jedenfalls nicht ohne Weiteres. Die Umstände, insbesondere die geltenden fachlichen Standards, die den unmittelbar physischen Kontakt mit dem Arzt entbehrlich erscheinen lassen, seien von den Parteien im Verfahren nicht vorgetragen und von der Tatsacheninstanz nicht festgestellt worden. Damit sei auch nicht mehr zu rechnen. Da der Anbieter der App für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreiben) im Wege der Fernbehandlung wirbt, werde die Frage der Erforderlichkeit nach Maßgabe der allgemein anerkannten fachlichen Standards wohl kaum verneint werden können. Dabei geht es nicht um die Frage, ob den Ärzten nach geltendem Berufsrecht Fernbehandlungen erlaubt sind. Entscheidend ist, ob der Austausch zwischen Arzt und Patient zur medizinischen Betreuung im Rahmen der beworbenen Leistungen von den einschlägigen Fachgremien als fachgerechte Behandlung anerkannt werden würde.

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