Entfernung zwischen Zweigpraxis und Vertragsarztsitz

von Lieb Rechtsanwälte

Entfernung zwischen Zweigpraxis und Vertragsarztsitz als Zulassungskriterium

Die Genehmigung einer Zweigpraxis für einen in Einzelpraxis tätigen Vertragsarzt kann wegen Beeinträchtigung der Versorgung am Praxissitz beurteilungsfehlerfrei abgelehnt werden, wenn sie mehr als 125 km – bei einer Fahrzeit von mehr als einer Stunde – entfernt ist und ihr Betrieb Zeiten umfassen würde, in denen am Ort des Praxissitzes üblicherweise praktiziert wird und kein organisierter Notfalldienst besteht. (BSG, Urteil vom 09.02.2011 – B 5 KA 7/10 R)

Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Zulassungsgremien bei einem Kieferorthopäden im Hinblick auf eine große Entfernung zwischen Vertragsarztsitz und Zweigpraxis sowie eine geringe Präsenz am Ort der Zweigpraxis in einem engen Zeitfenster eine Verbesserung der Versorgung verneinen. (BSG, Urteil vom 09.02.2011 – B 6 KA 3/10 R)

1.

Im ersten Fall war der Anspruch auf Genehmigung einer Zweigpraxis, die ca. 125 km entfernt vom Vertragsarztsitz betrieben werden soll, umstritten. Es handelte sich hierbei um einen in Einzelpraxis tätigen Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit dem Schwerpunkt Kinder-Kardiologie/Bluttransfusionswesen. Das Bundessozialgericht führte aus, dass eine Beeinträchtigung der Versorgung der Patienten am Praxissitz durch den Betrieb der geplanten Zweigpraxis dann angenommen werden könne, wenn die Entfernung zwischen Praxissitz und Zweigpraxis sehr groß sei und die Abwesenheit vom Praxissitz Zeiten umfasse, in denen im Bereich des Stammsitzes üblicherweise praktiziert werde und kein organisierter Notfalldienst bestehe. Dies sei vorliegend der Fall. Bei einer Entfernung zwischen Praxissitz und Zweigpraxis von mehr als 125 km mit eine Fahrzeit von deutlich mehr als einer Stunde könnten die Probleme bei Nach- und Notfallbehandlungen nicht vernachlässigt werden; denn der Arzt könne seine Abwesenheit vom Praxissitz nicht durch schnelles Herbeikommen aus einer Zweigpraxis in ausreichendem Ausmaß auffangen.

2.

In der zweiten Entscheidung nahm ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. In großer Entfernung zu dem Vertragsarztsitz betrieb er eine private kieferorthopädische Praxis. Für diese beantragte er die Genehmigung einer Zweigpraxis. Er gab an, dass er von montags bis donnerstags vollzeitig der vertragszahnärztlichen Versorgung am Vertragsarztsitz nachkomme, so dass in diesem Bereich die Versorgung der Patienten in dem erforderlichen Maße sichergestellt sei. An den Wochenenden biete er Sprechstunden an der vorgesehenen Zweigpraxis an. Dies führe dort zu einer Verbesserung der Versorgung.

Auch in diesem Fall sah das Bundessozialgericht die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten am Vertragszahnarztsitz als nicht gegeben. Zwar seien die von montags bis donnerstags angebotenen Sprechstunden dem Umfang nach als hinreichend anzusehen. Er wäre aber, wenn regelmäßig am Freitag Sprechstunden an dem Ort der Zweigstelle angeboten würden, an diesem Wochentag für seine Patienten am Vertragszahnarztsitz generell nicht erreichbar. Der allgemeine Hinweis auf eine mögliche Notfallversorgung in dieser Zeit durch niedergelassene Kollegen im unmittelbaren Umfeld sowie die benachbarte Universitätsklinik reichten nicht aus, um eine Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Versorgung auszuschließen.

Hinweis für die Praxis:

In den beiden entschiedenen Fällen waren die Ärzte in Einzelpraxis tätig.

Das Bundessozialgericht ließ offen, ob eine große Entfernung zwischen Zweigpraxis und Vertragsarztsitz als Hindernis anzusehen ist, wenn der Arzt in einer Berufsausübungsgemeinschaft mit einem weiteren gleichermaßen qualifizierten Kollegen tätig ist, der dann zur Versorgung zur Verfügung steht. Hier sollte die Genehmigung zu erteilen sein, da das Kriterium der ordnungsgemäßen Versorgung am Praxissitz erfüllt wird.

Die Entfernung als solche ist nicht allein entscheidend. Maßgebend ist der Maßstab einer ordnungsgemäßen Versorgung am Praxisitz.

 

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