BGH: Treppenlift - Widerrufsrecht beim Werkvertrag

von Joachim Borger | Lieb.Rechtsanwälte

Der BGH entscheidet mit Urteil vom 20.10.2021, Az. 1 ZR 96/20, wieder einmal über die schwierige Abgrenzung der Vertragstypen Kaufvertrag, Werklieferungsvertrag (§ 650 BGB) und Werkvertrag – doch nicht nur das.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist Herstellerin von Treppenliften. Diese Treppenlifte laufen in Schienen. Die Schienen werden für jeden Kunden individuell gefertigt bzw. angepasst, um genau dem jeweiligen Treppenverlauf zu entsprechen. Der Hersteller baut die Produkte auch selbst beim Kunden ein.

Der Hersteller gewährte dabei für die große Mehrheit seiner Produkte kein Widerrufsrecht. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg vertrat die Auffassung, dass den Kunden ein Widerrufsrecht zusteht und erhob Klage. Sowohl in erster als auch in zweiter Instanz unterlag die Verbraucherzentrale und ging in Revision. Dort hatte sie nun schließlich Erfolg.

Das Geschäft dieses Herstellers fällt in den Anwendungsbereich des § 312g BGB, der für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Vertrage sowie für Fernabsatzverträge grundsätzlich ein Widerrufsrecht vorsieht (Abs. 1). Gemäß dessen Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht hingegen kein Widerrufsrecht bei

Verträgen „zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind.“

Das erste wichtige Statement des BGH lautet:
Dieser Ausschluss des Widerrufsrechts gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB gilt für Kaufverträge (§ 433 BGB) und sogenannte Werklieferungsverträge (§ 650 BGB). Der Ausschluss gilt jedoch nicht bzw. nur in besonderen Ausnahmefällen für solche Verträge, die als Werkvertrag i.S.v. § 631 BGB einzuordnen sind.

So weit, so klar. Damit sind die rechtlichen Grundlagen geklärt. Es verbleibt die Frage, was das für den Einzelfall bedeutet. Steht den Kunden des Treppenliftherstellers ein Widerrufsrecht zu? Das kommt darauf an, welcher Vertragstyp im Einzelfall vorliegt. An dieser Stelle trifft der BGH die zweite interessante Aussage mit außerordentlich hoher Praxisrelevanz, auch wenn diese nur in Teilen neu erscheint:

Bei der Frage, welcher Vertragstyp vorliegt, sind die Umstände insgesamt zu betrachten. Entscheidend ist, worauf genau der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses liegt. Es ist die Frage zu stellen, auf welche Leistungen es den Vertragsparteien hauptsächlich ankommt. Dies kann die bloße Verschaffung von Eigentum und Besitz eines Produktes sein; auch wenn eine Lieferung und der Einbau durch den Anbieter zusätzlich vereinbart sein mag, ist oft anzunehmen, dass es jedenfalls dem Kunden vor allem darauf ankommt, das Produkt in Händen halten zu können. In solchen Fällen werden regelmäßig die gesetzlichen Regelungen über den Kaufvertrag anzuwenden sein, sei es auch „nur“ über § 650 BGB (sog. Werklieferungsverträge). Im gestern entschiedenen Fall beurteilt der BGH die Sachlage anders. Er sieht darin einen Werkvertrag, weil das maßgeblich geschuldete Ergebnis, worauf es den Parteien primär ankommt, eine maßgeschneiderte Lösung für den körperlich eingeschränkten Kunden ist, mittels derer er den Weg durch das Treppenhaus sicher (und komfortabel) bewältigen kann und die sich in die unmittelbare Umgebung passgenau einfügt. Dafür spricht auch der überaus hohe Aufwand, der zur Anpassung an die individuellen Gegebenheiten erforderlich ist.

Die Übergänge von Vertragstypen zueinander sind gewissermaßen fließend, die Abgrenzung ist dementsprechend schwierig. Pauschale Vorgaben existieren allenfalls im Ansatz. Jeder Fall ist anders und so muss auch jeder Fall individuell bewertet werden. Daher ist Vorsicht geboten bei dem Versuch, aus einer Entscheidung wie der vorliegenden Rückschlüsse auf etwaige eigene Sachverhalte zu ziehen. Bei der Beurteilung Ihrer eigenen Angelegenheit stehen wir Ihnen natürlich gerne mit Rat und Tat zur Seite!

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