§ 116 b SGB V: ambulante Klinikbehandlung mit unterschiedlicher Auslegung?
von Lieb Rechtsanwälte
Die Sozialgerichte in Hannover und Düsseldorf haben in zwei ähnlich gelagerten Fällen Klagen gegen Kliniken zur 116 b-Praxis verschieden bewertet. Dreh- und Angelpunkt war das Wort "Berücksichtigung" in § 116b Abs. 2 SGB V, das von beiden Gerichten unterschiedlich ausgelegt wurde und im Streit um ambulante Krankenhausbehandlungen nach § 116 b SGB V zu widersprechenden Entscheidungen zur ambulanten Klinikbehandlung führte.
Im Gesetz heißt es:
Ambulante Behandlung im Krankenhaus, Paragraf 116 b, Absatz 1 und 2, SGB V:
(1) Die Krankenkassen oder ihre Landesverbände können mit zugelassenen Krankenhäusern, die an der Durchführung eines strukturierten Behandlungsprogramms nach § 137g teilnehmen, Verträge über ambulante ärztliche Behandlung schließen (...)
(2) Ein zugelassenes Krankenhaus ist zur ambulanten Behandlung der in dem Katalog nach Absatz 3 und 4 genannten hoch spezialisierten Leistungen, seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen berechtigt, wenn und soweit es im Rahmen der Krankenhausplanung des Landes auf Antrag des Krankenhausträgers unter Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssituation dazu bestimmt worden ist ..."
In Hannover wehrte sich ein auf Aids-Patienten und Drogensubstitution spezialisierter Allgemeinarzt gegen die Bestimmung der im Einzugsgebiet seiner Praxis gelegenen Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zur Behandlung von Aidspatienten. Weil alle Aidskranken für bestimmte Behandlungen und Untersuchungen in die Klinik kommen, fürchtete er, dass die MHH nichts unversucht lassen wird, um diese Patienten an sich zu binden, was mittelfristig zu einem erheblichen Patientenverlust führen könnte.
Der Arzt hatte vor Gericht Erfolg. Das SG Hannover bestätigte die Linie, die bereits vom SG Dresden und LSG Chemnitz vorgegeben wird, dass benachbarte Ärzte gegen die Bestimmung einer Klinik klagen können. Dass es es im vorliegenden Fall um eine landeseigene Klinik handelt - die MHH hatte argumentiert, sie sei gar nicht Adressat einer normalen Verwaltungsentscheidung gewesen, sondern das Land habe sie schlicht angewiesen, 116b-Behandlungen vorzunehmen - schadete vorliegend nicht. Nach Überzeugung des SG Hannover kann die staatsrechtliche Zuordnung der MHH zum Land die allgemeinen Regeln des Sozialrechts nicht aushebeln. Auch hier sei ein Verwaltungsakt ergangen, gegen den eine defensive Konkurrentenklage zulässig sei.
"Berücksichtigen meint mehr als zur Kenntnis nehmen", heißt es zur Begründung. Zudem sei 116b eine Ausnahme vom "Leitbild der Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzte". Wenn der Gesetzgeber demgegenüber Wettbewerbern den Markt "schrankenlos" öffnen wolle, "wäre eine deutlichere Regelung zu erwarten".
Auch wenn eine Bedarfsprüfung nicht vorgesehen sei, meine das Gesetz letztlich nur "ganz bestimmte, gesetzlich herausgehobene ambulante Leistungen". Nach Überzeugung des SG Hannover soll der 116b den Kliniken offenbar vorrangig Leistungen ermöglichen, die Vertragsärzte nicht, nicht in ausreichendem Umfang oder aus Sicht der Patienten nicht gleichwertig erbringen. Ein Rechtsanspruch bestehe auch für geeignete Kliniken nicht.
Die danach erforderliche Abwägung aller Belange lasse der von dem Arzt angefochtene Bescheid zur Bestimmung der MHH nicht erkennen, er sei daher rechtswidrig. Nach dem noch nicht rechtskräftigen Eilbeschluss darf die Klinik aber die Aidskranken, deren Behandlung sie nach 116b bereits begonnen hat, bis Ende Februar 2011 weiter versorgen. Bis dahin soll das niedersächsische Gesundheitsministerium neu entscheiden und begründen.
Ganz anders entschied das SG Düsseldorf. Dort klagten Ärzte gegen die Bestimmung zweier Kliniken im Rheinland zu verschiedenen onkologischen Behandlungen. Das Land hatte den Sofortvollzug angeordnet, das SG wies die dagegen gerichteten Anträge der Ärzte ab. Es sei noch rechtlich offen, ob die Ärzte überhaupt klagen dürfen, so das SG. Und ebenso offen sei gegebenenfalls das Ergebnis einer solchen Klage.
Ihre Begründung formulierten die Düsseldorfer Richter genau anders herum als ihre Kollegen in Hannover: Berücksichtigen sei weniger als beachten. Die Bestimmung eines Krankenhauses hänge daher "nicht zwingend von einem von den Vertragsärzten nicht abgedeckten Versorgungsbedarf" ab. Auch wenn dies im Bescheid nicht erkennbar werde, sei es nicht ausgeschlossen, dass das Land die vertragsärztliche Versorgung ausreichend in seine Entscheidungserwägungen einbezogen habe.
Einstweiligen Rechtsschutz für die Ärzte lehnte das SG Düsseldorf ab. Schließlich setzten die angefochtenen Bescheide den politischen Willen des Bundesgesetzgebers um. Mögliche Patientenverluste verteilten sich jeweils auf zahlreiche Ärzte, sodass eine Existenzgefährdung einzelner Praxen nicht drohe.
Die Entscheidung des SG Düsseldorf überzeugt nicht. Der Gesetzgeber bestimmt eindeutig, wann ein Krankenkaus zur ambulanten Behandlung berechtigt ist. Die vertragsärztliche Versorgungssituation ist zu berücksichtigen und demgemäß in eine Abwägung, nämlich die, ob im betreffenden Einzugsgebiet die vertragsärztliche Versorgung ausreichend ist, oder aber der Ergänzung durch ein ambulantes Zusatzangebot der Klinik bedarf, einzubeziehen. Die vertragsärztliche Versorgungssituation kann demgemäß nicht "unbeachtet" bleiben.
Das SG Düsseldorf hat schlicht übersehen, dass "beachten" letzlich nichts anderes als ein Synonym für "berücksichtigen" ist. Indem dem Wort "berücksichtigen" eine geringere Wertigkeit zugeacht wird, wird hierdurch praktisch die Prüfung der vertragsärtzlichen Versorgung überflüssig, mit der Gefahr, dass Krankenhäuser ohne weiteres den Pauschal-Zuschlag für die ambulante Behandlung nach § 116 b SGB V erhalten. Eine Folge, die der Gesetzgeber gewiss vermeiden wollte.
SG Hannover, Beschluss vom 24.08.2010, Az.: S 61 KA 358/10 ER
SG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.08.2010, Az.: S 2 KA 379/10 ER